Der Kaffeekirschentee: So schmeckt er, so wird er getrunken, so nachhaltig ist er
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Mit einem Nebenprodukt echten Mehrwert schaffen? Cascara, auch bekannt als Kaffeekirschentee, hat genau das geschafft. Dabei wird neben der Bohne der Kaffeekirsche auch das Fruchtfleisch zum Produkt. Vor einem Jahr kam der aromatisch-fruchtige Tee mit Nachhaltigkeits-Prädikat offiziell auf den europäischen Markt. In diesem Tee steckt eine Menge Potenzial für den Kaffeemarkt. Wir blicken auf eine Farm, die sich in der Cascara-Produktion einen Namen gemacht hat, erklären, woher der Tee vom Kaffeestrauch kommt, warum er so besonders ist, wie er am besten schmeckt und wieso er Punkte auf dem Nachhaltigkeitskonto sammelt.
Das ist Cascara
Kaffee wächst nicht als Bohne am Strauch, sondern als Frucht. Die Bohne ist der Kern der Kaffeekirsche. Aus dem abgeschälten Fruchtfleisch wird Cascara gewonnen. Auch wenn man den Kaffeekirschentee erst seit Anfang 2022 als von der EU zugelassenes Produkt bei uns kaufen kann, ist er kein wirkliches Trendgetränk. Bauern im Jemen, in Arabien oder auch Bolivien sollen diesen Tee bereits vor hunderten Jahren getrunken haben.
Mit dem Aufkommen des Kaffeehandels blieben sie dabei, weil er deutlich billiger war als Bohnenkaffee. Daraus ein Produkt zu machen, darauf kam man erst in unseren Tagen. Gegenüber der Bohne schien das Fruchtfleisch vorher nicht interessant genug, zumal guter Cascara ein zeitintensives Unterfangen ist. Meistens wird das Fruchtfleisch als natürlicher Dünger, Tierfutter oder Brennmaterial verwendet oder entsorgt auf dem Kompost.
So wird Cascara hergestellt
Die Verarbeitung erfolgt noch auf der Kaffeeplantage, häufig nach der natural Methode, bei der das Fruchtfleisch erst nach dem Trocknen der gesamten Frucht von der Bohne entfernt wird. Bessere Qualität wird mit der washed Methode erzielt, weiß Aurelia Gamarra Quispe, Q-Graderin und Qualitätsmanagerin der Kooperative Asociación Miguel Grau in Peru. „Der Vorteil dieser Verarbeitungsart ist, dass man die Kirschen zuerst in einem Wasserbecken wäscht. Bei diesem Arbeitsschritt kann man die sog. Floaters aussortieren, das sind un- oder überreife Früchte, denn sie treiben obenauf. Dann wird das Fruchtfleisch entfernt und extra getrocknet ohne die Bohne“, erklärt sie.
“Die Kompetenz liegt nicht beim Röstmeister, sondern zu 100% auf der Farm.”
Gemeinsam mit Agraringenieur Elvis Canchanya betreut Aurelia die Cascara-Produktion der Kaffee-Kooperative. Als sich vor fünf Jahren abzeichnete, dass Cascara auf dem europäischen Markt zugelassen werden würde, startete das Projekt „Coffee Cherry Tea“ in ihrer Asociación, initiiert von der Kaffeemarke Pacha Mama und der Murnauer Kaffeerösterei und unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. So konnten sie noch vor dem offiziellen Startschuss Erfahrungen sammeln, wie Cascara am besten hergestellt wird.
Da es immer nur eine Ernte im Jahr gibt, ist die Zeit, in der Erfahrungen mit der Herstellung von Cascara gesammelt werden können, sehr begrenzt, zumal die Verarbeitung der Frucht schnell passieren muss, um nicht zu verderben. Aurelia und Elvis sind deshalb mittlerweile als Experten über ihre Asociación hinaus bekannt und stark hofiert. „Die Qualität von Cascara wird allein auf der Farm entschieden. Die Kompetenz liegt nicht beim Röstmeister, sondern zu 100% auf der Farm. Deshalb ist es wichtig, dass wir zu jeder Ernte gut vorbereitet sind und für die nächste dazulernen“, erklärt die junge Qualitätsmanagerin.
Agraingenieur Elvis Cancchanya (links) und Q-Graderin Aurelia Gamarra Quispe in Peru.
Für sie und Elvis ist das Feilen am Cascara-Konzept deshalb so, als ob sie das ganze Jahr über ein großes Event planen, bei dem alles wie am Schnürchen laufen muss. Es beginnt bereits mit der Auswahl der geeigneten Kaffeekirschen. „Nicht jede Kirsche, die guten Kaffee liefert, macht auch guten Cascara“, weiß Elvis. Jede Varietät schmecke anders, so wie etwa nicht alle Äpfel gleich schmecken.
Der Agraringenieur arbeitete deshalb lange an einem guten Mischungsverhältnis verschiedener Varietäten für ein geschmackliches Profil, das heraussticht. „Unser Ziel ist es, keinen gewöhnlichen Kaffeekirschentee zu machen, die meisten Tees schmecken einfach nur süß“, sagt er. „Wir wollen, dass man die Süße schmeckt zusammen mit den fruchtigen Aromen und dem typischen Cascara-Geschmack, der ein bisschen an Rooibos erinnert.“
Mit der aktuellen Mischung seien sie sehr zufrieden, darauf ausruhen könne man sich aber nicht. Sonneneinstrahlung, Niederschläge, Temperaturen etc. beeinflussen den Geschmack der Kaffeekirsche. „Das alles fällt jedes Jahr anders aus, entsprechend kann sich der Geschmack einer Varietät etwas ändern und somit auch das Profil unseres Kaffeekirschentees“, berichtet Elvis. „Es ist ein ständiges Feintuning.“ Deshalb ist er das ganze Jahr auf den Farmen unterwegs, nimmt laufend Proben von Kaffeekirschen und Boden, nach deren Analysen er sich mit den Herstellern bespricht, ob und welche Maßnahmen nötig sind.
Was ein Auto mit der Qualität von Cascara zu tun hat
Die wohl anspruchsvollste Herausforderung ist der Trocknungsprozess. „Sobald die Kaffeekirsche gepflückt ist, muss sie so schnell wie möglich verarbeitet werden, ganz besonders wenn das Fruchtfleisch abgeschält ist, damit nicht verdirbt“, erklärt Aurelia. Die Farmen, die die Kirschen ernten, lagen daher als nächstgelegener Ort zur Verarbeitung auf der Hand. Sie stellten sich jedoch gleich bei der ersten Ernte als ungeeignet heraus. Die Farmen liegen allesamt auf ca. 1.600 Metern Höhe. Dort entlädt sich nachmittags oft die in den Bergen angestaute Feuchtigkeit, sodass die Trocknung dort zu lange dauert.
Die Asociación musste also ins Tal ausweichen, wo es trockener ist. „Für viele war das ein schwieriger Schritt. Der Weg dorthin dauert für manche drei Tage, weil sie nicht mobil sind. Während dieser Zeit kann im Fruchtfleisch alles kippen“, erklärt Aurelia. Walter Knauer und Michael Scherff, Manager von Pacha Mama, erkannten das Problem und stellten der Asociación ein Auto zur Verfügung, was die Dauer des Transportes auf einen Tag verkürzte.
Im Tal wurde ein extra Platz eingerichtet für Cascara. Spezielle Trocknungsanlagen mit Abdeckungen, die sog. Secadors solars, die vor direkter Sonneneinstrahlung schützen, erwiesen sich als großer Fortschritt gegenüber Anlagen ohne Dach. „Zusätzlich wird das Fruchtfleisch stündlich gewendet, damit es gleichmäßig durchtrocknet. Allein dafür haben wir drei bis vier Leute abgestellt“, sagt Aurelia. Zusammen mit Elvis übernehmen sie auch die Feuchtigkeitsmessungen, die mehrmals am Tag durchgeführt werden.
Entsprechend werden Maßnahmen eingeleitet. „Beim Trocknen braucht es Fingerspitzengefühl“, weiß Aurelia. „Wird das Fruchtfleisch zu schnell getrocknet, platzt es und ein Großteil der Aromen verschwindet. Wird es zu langsam getrocknet, kann sich Schimmel bilden.“ Als ideal habe sich herausgestellt, wenn die Feuchtigkeit im Fruchtfleisch schnell auf 40% sinkt und sich dann langsam weiter reduziert auf 9%, um die Aromen optimal zu erhalten und zu speichern.
Mit dem ständigen Wenden findet gleichzeitig eine Auslese von Hand statt. „Das ist ganz besonders dann wichtig, wenn es während der Trocknungsphase regnet, das kann die Charge einer ganzen Ernte ruinieren. Gleichzeitig ist es ein Qualitätsmerkmal, mit dieser Sorgfalt entsteht richtig guter Cascara“, berichtet sie.
Nachhaltige Nebenwirkungen: mehr Einkommen, mehr Klimaschutz, mehr Gemeinschaft
Sämtliche Erfahrungen, die Aurelia und Elvis zusammen mit Farmen und ihren Partnern von Pacha Mama gesammelt haben, sind in einem Handbuch niedergeschrieben für alle. Das aber nicht in Stein gemeißelt ist. Jede Ernte beschert neue Erkenntnisse. Es ist ein ständiger Optimierungsprozess. „Wir waren Frontrunner, es gab keine andere Kompetenz, wir mussten alles erst durch eigene Erfahrungen aus dem Boden stampfen.“
Mit ihrem Wissensschatz haben sich Aurelia und Elvis über die Asociación hinaus einen Ruf als Cascara-Experten erarbeitet. Dieser Erfolg machte unter Herstellern die Runde, mittlerweile sind vier Nachbarskooperativen eingestiegen. Waren es vorher an die 50 Farmen, tauschen nun etwa 200 ihr Wissen untereinander aus.
Dieser Enthusiasmus rührt sicherlich auch daher, dass Cascara eine zusätzliche Einkommensquelle bedeutet. Die Kaffeebäuerinnen und -Bauern bekommen mit dem Tee zwischen 25 und 30% mehr Einkommen. So ist gelungen, was sich Pacha Mama und die Murnauer Kaffeerösterei von Anfang an gewünscht hatten: ein train-the trainer-Effekt, bei dem die Hersteller nach Projekt-Ende auf eigenen Beinen stehen.
Margot & Walter Knauer (links) und Michael Scherff mit seiner Frau Maria del Carmen (rechts).
Auf den Erfolg von „Coffee Cherry-Tea“ und seine nachhaltigen „Nebenwirkungen“ wurde USAID aufmerksam, die Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung. Sie hat Interesse angemeldet, diese nachhaltigen Effekte zu multiplizieren, und dazu sollen Fördergelder fließen.
Neben der sozial nachhaltigen Seite, die den Herstellern mehr wirtschaftliche Möglichkeiten und somit mehr Wohlstand eröffnet, gibt es auch ökologisch nachhaltige Seiten. „Sobald Hersteller ihre Produkte diversifizieren, also mehrere Produkte anstatt nur einem anbauen, geht damit meistens eine Abholzung von Wald einher. Ein kleiner Betrieb nimmt auf diese Weise jährlich etwa einen Hektar Wald weg“, berichtet Walter Knauer. „Mit Cascara ist das aber nicht nötig. Den Kaffeestrauch gibt es ja bereits, er gibt uns lediglich ein weiteres Produkt.“ Es seien schlicht effiziente und optimierte Prozesse, die diesen Gewinn für die Farmen generierten.
Was weiter ins Gewicht fällt: mit Cascara landet weniger Fruchtfleisch auf dem Kompost. Das klingt zuerst nicht wie ein großes Los, in Sachen Klimaschutz liegt jedoch gerade hier Potenzial verborgen. Die Nachhaltigkeits-Plattform At Source der Olam-Coffeegroup stellte fest, dass auf einer Plantage durchschnittlich 17% der CO₂e, v.a. stark klimaschädliches Methan, entstehen, wenn Ernteabfälle wie etwa Kaffeekirschenfleisch auf dem Komposthaufen landen. Würde dieser regelmäßig gewendet oder anderweitig belüftet, hätte das erheblichen Einfluss auf die Klimabilanz.
Mit der Produktion von Kaffeekirschentee könnte in Sachen Klimaschutz also Potenzial liegen. Der Anteil des Fruchtfleisches, den die Asociación zu Cascara verarbeitet, sei aktuell noch relativ gering, sagt Aurelia. „Wir wollen gerne mehr herstellen, müssen aber sehen, wie wir wachsen können. Dazu braucht es mehr Platz, mehr Manpower und mehr Zeit.“ In jedem Kilogramm Cascara verstecken sich 14 kg Fruchtfleisch – bei aktuell 100t Cascara ist das bereits jetzt eine beträchtliche Hausnummer an CO₂e, die die Kooperative einspart. Finden sich weitere Partner, könnte das die Klimabilanz von Farmen verbessern.
Natürlichkeit punktet: Cascara als Konkurrenz für Energy-Drinks
Und wie wird es mit Cascara weitergehen? Corona und der russische Krieg haben auch bei der Cascara-Herstellung und der Nachfrage danach Spuren hinterlassen. „In etwa zwei Jahren“, so schätzt Walter Knauer, „sind wir aus dem Uphill-Battle raus und dann wird ein ordentliches Geschäftsvolumen da sein.“ Die Neugierde an diesem neuen Produkt sei spürbar da, noch aber habe der Tee vom Kaffeestrauch einen Weg zu gehen. „Cascara ist immer noch ein beratungsintensives Produkt, weil es noch unbekannt ist. Die wenigsten wissen, was man damit macht, wie es schmeckt und wie es wirkt.“
In seiner Neuheit läge jedoch auch Potenzial. Der Tee schmeckt fruchtig, je nach Varietät sind Noten von Orange, Hagebutte, Zitrone, oder Kirsche wahrzunehmen, dazu die Süße von Honig und der typische leicht an Rooibos erinnernde Geschmack. „Cascara kann natürlich auch nur für sich getrunken werden. Seine große Stärke liegt v.a. darin, dass er mit seinem interessanten geschmacklichen Profil als Grundlage für verschiedenste Rezepte verwendet werden kann. Er hat ein außerordentliches Kreativitätspotenzial, bei all den Produkten, die es jetzt schon gibt, stehen wir immer noch ganz am Anfang.“
Seine Prognose: es wird stark in die Convenience-Schiene gehen in ready-to-drink-Formaten aus Dosen und Flaschen wie Limonaden, Nitro-Cascara, Sirup für eigene Rezepte. Dazu seien auch Kombinationen mit Alkohol sehr wahrscheinlich, so Walter Knauer, besonders Gin-Hersteller scheinen in Cascara eine geschmacklich geeignete Komponente für Drinks zu sehen.
Convenience-Produkte sprechen v.a. die jüngere Zielgruppe an, zumal sie es ist, die das größte Interesse an Cascara anmeldet. Das Motiv, aus dem heraus sie Kaffee trinkt, ist v.a. der Wachmacher-Effekt. Der fällt bei Cascara stärker aus. „Das Koffein im Fruchtfleisch der Kaffeekirsche wirkt als Schutz gegen Fressfeinde für die Bohne im Innern. Deshalb steckt deutlich mehr Koffein im Fruchtfleisch als in der Bohne selbst. Bedenkt man, dass für 1kg Cascara 14kg Fruchtfleisch nötig sind, sagt das schon alles“, erklärt Aurelia.
Mit seinem fruchtigen Geschmack steckt im Kaffeekirschentee also Potenzial für eine natürliche Alternative zu wachmachenden Energy-Drinks und fertigen Kaffeegetränken aus dem Kühlregal. Zudem seien eine Menge guter Substanzen enthalten, führt Walter Knauer aus. Antioxidantien wie Chlorogensäure oder Tannine, Ballaststoffe, natürlicher Zucker, Vitamine, Mineralien, dazu reichlich Proteine.
Cascara und seine Rezepte
Der Kaffeekirschentee ist denkbar einfach zubereitet. 24g Cascara mit kochendem Wasser aufgießen und zwischen 5 und 10min je nach Geschmack ziehen lassen.
Und jetzt geht es ab auf die kreative Spielwiese: entweder kalt mit Eiswürfeln und einem Spritzer Zitronensaft, als Eistee mit Sprudelwasser, Tonic Water oder Zitronenlimonade. Oder heiß mit geschäumter Milch und Maracujasirup, mit Ingwer, Zimt und Zucker… Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das Schöne an Cascara: es ist ein noch so unbeschriebenes Blatt – und bereit für die buntesten Schöpfungen…
Unser Produkttipp aus den Rezeptideen: Cascara Bio – Pacha Mama Kaffeekirschentee
Fotos: © Pacha Mama, Adobe Stock, Murnauer Kaffeerösterei