Am liebsten beobachtet sie die Menschen, die ihren Kaffee trinken. Für Trish Rothgeb, Gründerin von Wrecking Ball Coffee in San Francisco, offenbart sich darin Kunst. Die Amerikanerin hängte ihre Künstlerkarriere an den Nagel, um Kaffee zu rösten. Eine Kunst, in der so viel Schönheit für sie liegt, die keine Zeichnung je erlangen könnte. Mit Trish haben wir über den gemeinsamen Nenner von Kunst und Kaffee gesprochen, über die Geburt der „Third Wave of Coffee“ in ihrem Arbeitszimmer und warum ihr Unternehmen „Wrecking Ball“ – zu Deutsch: „Abrissbirne“ – heißt.
Trish, du hast einmal Kunst studiert. Wenn du heute ein Bild malen würdest, was würden wir darauf sehen?
Eines der Dinge, die ich vertieft habe an der Kunstakademie, war das Studieren und Zeichnen von Menschen. Ich mag das immer noch. Manchmal wird mir gesagt, dass ich eine Person zu lange anstarre. Ein Knie, eine Schulter… Das ist mir dann peinlich, und ich sollte sehr wahrscheinlich nicht so aufdringlich sein, aber das fasziniert mich so. Bilder in Lebensgröße male ich keine mehr, aber kleinere Zeichnungen. Es ist wie mit einem Pianisten, der seine Tonleitern auf der Tastatur abklappert, das hält geschmeidig.
Wie gehen Kunst und Kaffee in deinem Leben zusammen? Es gibt Latte Art. Hat Kaffee noch einen anderen Aspekt von Kunst für dich?
Kaffee zu rösten war ein, wie ich finde, natürlicher Weg weg vom Bilderzeichnen, und das ist sogar noch besser. Du kannst direkt zusehen, wie jemand ganz physisch deine Arbeit, deine Kunst wahrnimmt und konsumiert. Am kleinen Röster, an dem ich das Rösten begonnen habe, konnte ich sehen, wie die Bohnen aus dem Röster in die Mühle wanderten, wie sie im nächsten Schritt zubereitet wurden und wie dann jemand schließlich den Kaffee direkt vor meinen Augen getrunken hat.
Hast du das in deiner Zeit in Norwegen erkannt? Was führte dich dort hin?
1998 ging ich nach Europa, weil ich fast eine ganze Show an Bildern verkauft hatte, ich hatte also Geld. Und ich wollte zu meinem damaligen Verlobten, der in Großbritannien studierte. Nach seinem Abschluss gingen wir in seine Heimat Norwegen, und das hat alles für mich geändert! Es gäbe viel zu erzählen, aber ich sage jetzt nur, dass es zwischen 1999 und 2002 keinen Ort auf der Welt für Specialty Coffee gab wie Oslo. In dieser Zeit beschloss ich, die Kunst an den Nagel zu hängen und mich dem Kaffee und einer Karriere damit hinzugeben.
Was war so besonders an der norwegischen Kaffeekultur?
Norwegen lehrte mich vor allem eins: einen deutlich höheren Standard von Kaffeeverständnis zu setzen. Ich begriff, dass wir mehr erwarten können von unseren Kunden und von uns selbst. Wir müssen nicht das lowest Level suchen, damit wir jeden Kaffeetrinker kriegen. Zumal die Leute das auch gar nicht wollen. Specialty Coffee ist kein Vorwand, das Beste nur zu wollen, er kann uns zu viel mehr bewegen, denn Kaffee ist ein so perfektes Produkt, das wir mehr schätzen, zelebrieren und noch mehr erforschen sollten.
Du bist u.a. eine lizensierte Q-Graderin, eine Ausbilderin für Q-Grading am Coffee Quality Institute (CQI) und du warst dort Direktorin. Du weißt also eine Menge über Kaffee und wie Menschen auf der ganzen Welt auf Kaffee blicken. Kannst du uns von diesen Perspektiven erzählen?
Das wahrscheinlich am meisten unterbewertete und am wenigsten kommunizierteste Ergebnis des Q-Grader-Programms ist, dass die allergrößte Mehrheit der Q-Grader Kaffeequalität einheitlich kalibriert. Was heißt das? Als Direktorin und Ausbilderin habe ich Unmengen an Cupper-Protokollen von Q-Gradern aus allen Ecken der Welt gesehen. Wichtige Info: alle Kaffees, die in den Kursen verkostet werden, stammen aus derselben „Kaffeebank“. Und jetzt kommt das Spannende: sämtliche Q-Grader-Erstlinge sowie zertifizierte Q-Grader, die kommen für eine Lizenzerneuerung, sind in ihren Beurteilungen der verschiedenen Kaffees und deren Qualität nahezu deckungsgleich, ob sie nun im gleichen Kurs sitzen oder nicht.
Heißt das, dass am Urteil eines Q-Graders nicht zu zweifeln ist, weil er soz. geeicht ist?
Das CQI archiviert alle Protokolle. Es gab einige ziemlich eifrige Studenten und Akademiker, die widerlegen wollten, dass professionelle Cupper tatsächlich einen einheitlichen Sinn für Kaffee-Qualität haben, sie sollten einen Blick in dieses Archiv werfen! Wir scheinen also in den grundsätzlichen Fragen zur Qualität über den ganzen Globus hinweg übereinzustimmen.
Lass uns über die “Third Wave of Coffee” sprechen. In der Kaffeewelt ist er ein Begriff mit Aura – und du hast ihn in einem deiner Newsletter geboren. Inspiration waren dir Autoren, die das Wort “Wave” verwendeten, um verschiedene Phasen innerhalb der Bewegung der Frauenrechte und der Emanzipation zu beschreiben. Brauchte Kaffee in deinen Augen auch Stärkung und Emanzipation?
In der „Third Wave of Feminism“ ging es darum, als Frau Individualität auszudrücken. Du kannst alles sein, was du willst, wenn du wirklich frei bist. Ich sah eine Parallele zu Kaffee, und das machte großen Sinn für mich. Ja, ich glaube, dass Kaffee diese besondere Art von Freiheit brauchte, um besser zu werden – und Kaffee wurde besser durch die „Third Wave“: das Bewusstsein für Qualitätskaffee, für das Handwerk und für Nachhaltigkeit, die vereinbar ist mit wertschätzendem Genuss.
Zeichne uns doch bitte ein Zukunftsbild: wie, denkst du, könnte eine „Fourth Wave of Coffee“ aussehen?
Ich hatte Glück, die Third Wave überhaupt benennen zu können, denn eigentlich ist es ziemlich schwierig eine Bewegung zu identifizieren, in der man gerade steckt. Ich kann nur meine Wunschliste auspacken, wie sie sein könnte. Ich wünsche mir, dass soziale Freiheit eine Rolle spielt, dass jeder daran teilhaben kann, gleich welchen Geschlechtes, welcher Nation und welchen Status‘.
Mit „Wrecking Ball“ (dt. Abrissbirne) hat eurer Unternehmen einen Namen mit Programm. Ein gutes Beispiel ist die Geschichte mit dem Café, das ihr vor ein paar Jahren in Berkeley eröffnet habt, in einem Stadtteil, das „Gourmet Ghetto“ genannt wurde. Eine Bezeichnung, die ihr angeprangert habt wegen des rassistischen Hintergrunds in diesem Viertel. Das schlug hohe Wellen, die Bezeichnung wurde unterbunden. Was will „Wrecking Ball Coffee“ noch ändern?
Wir gehen nicht raus und suchen Kämpfe, sie tauchen einfach an der Türschwelle auf, und dann tragen wir sie aus. Nach der Geschichte mit dem „Gourmet Ghetto“ gibt es einige, die uns heute immer noch nicht mögen, aber wir hoffen, dass umso mehr ihren Kaffee bei uns trinken wollen und sich hier willkommen fühlen.
Fotos: © Wrecking Ball Coffee