Die Landwirtschaft steht weltweit vor einer Herkules-Aufgabe: einerseits hat sie immer Menschen zu ernähren, andererseits soll sie die Natur dabei nicht ausbeuten. Die Globalisierung verschärft diese Crux. Das Produkt Kaffee ist davon nicht ausgenommen. Kaffeehändler Walter Knauer und Umweltaktivist Heiner Stienhans haben eine Idee: ein System, das sich CO2-Zertifikate selbst ausstellt durch nachhaltige, aufrichtige Arbeit. Kann man das? Wir haben mit ihnen über ihr Konzept und die erste Umsetzung in Peru gesprochen, bei dem unser Wissenspartner Murnauer Kaffeerösterei erster Partner ist.
Herr Stienhans, du als Vorsitzender von Ecoselva, Verein zum Erhalt von Regenwald und Biodiversität, sagst, dass das Bio-Siegel das Problem der Landwirtschaft nicht lösen kann. Warum?
H.S.: Grundsätzlich rate ich natürlich dazu, zu Produkten mit Bio-Siegel zu greifen anstatt zu billiger Massenware, es steht ja ein grünes Konzept dahinter mit einem gesetzlichen Rahmen, Verbraucher können also Vertrauen haben. Erfahrungen in Peru zeigen jedoch, dass eine Bio-Zertifizierung alleine noch keine nachhaltige Landwirtschaft gewährleistet.
Warum nicht?
H.S.: Dieses Land hat sich in den letzten Jahren auf den bio-Kaffee-Anbau spezialisiert, zunächst mit großem Erfolg. Das Angebot von Bio-Kaffee von Peru auf dem Weltmarkt ist stark gewachsen. Peru hat aber leider auf Masse gesetzt, nicht auf Qualität. Die Zuschläge, die die Bauern für Bio und Fairtrade erhielten, reichten häufig nicht aus, um den Mehraufwand in der bio-Kaffee-Produktion zu finanzieren.
Kannst du uns die Folgen davon beschreiben?
H.S.: Die Bodenfruchtbarkeit ging von Jahr zu Jahr zurück, und der Kaffee wurde viel krankheitsanfälliger wegen nicht ausreichender Düngung. Mit diesem Bio-Massenanbau waren die Böden häufig bereits nach zehn Jahren verarmt, die Bauern mussten neuen Regenwald roden, um weiter Kaffee ernten zu können. Hier trägt der Bio-Kaffeeanbau sogar zur Abholzung der Regenwälder bei.
Wie können die Kaffeebauern diesen Teufelskreislauf durchbrechen?
W.K.: Statt Quantität Qualität. Hierfür brauchen sie zunächst eine Schulung, um sie in die Lage zu versetzen, die Qualität ihres Kaffee Jahr für Jahr zu verbessern durch nachhaltigen Anbau. Die Erfahrung zeigt, dass ein Bauer an verschiedenen Stellschrauben drehen muss, um das zu erreichen. Wenn das alles stimmig ist, erzielt er hohe und nachhaltige Qualität und kann seinen Kaffee zu ganz anderen Preisen verkaufen als Kaffee von Durchschnittsqualität. Dieser Schritt ist in der Kooperative Satinaki in Miguel Grau mit dem Produkt Pacha Mama gut gelungen.
Welche Rolle spielt dabei Ihre Idee des CO2-Zertifikates?
H.S.: Derjenige, der seinen Regenwald schützt, kann CO2-Zertifikate generieren und verkaufen. So ist der Grundgedanke. Leider bringt die Umsetzung über den Weg von Zertifizierungsunternehmen sehr hohe Verwaltungskosten mit, und beim Bauern, der seinen Wald schützen will, kommt nur sehr wenig Geld an.
W.K.: Durch unsere Gespräche in der Kooperative wissen wir: die Bauern wollen das, sie wissen, dass der Schutz von Regenwald auch für sie wichtig ist, um den Klimawandel in dieser Region zu stoppen.
Sind es im Endeffekt die hohen Kosten von Zertifizierungsunternehmen, die dem guten Willen ein Bein stellen?
H.S.: Im Grunde ist es so. Wir sind auf ein Konzept gestoßen, das es bereits gibt: das PGS (Partizipatives Garantiesystem). Wir denken es einfach um. Es ist ein Bio-Zertifizierungssystem mit dem grundlegenden Unterschied zu anderen Systemen, dass es sich das Siegel selbst ausstellt und kein Zertifizierungsunternehmen beauftragt werden muss, das hohe Gebühren berechnet. Diese Idee wurde in den 70er Jahren in Frankreich von „Nature et Progrès“ entwickelt, um auch Kleinbauern für wenig Geld zu zertifizieren. Das PGS gibt es bereits in vielen Ländern des globalen Südens als erfolgreichen Ansatz, um nationale bio-Märkte aufzubauen.
In eurem Modell wird also nicht ein Bio-Siegel, sondern das CO2-Zertifikat zum Produkt gemacht, das ein Siegel erhält?
H.S.: Ja, genauso ist es.
Du sagtest, dass sich das PGS das Siegel selbst ausstellt. Woher weiß ich, dass das Siegel vertrauenswürdig ist? Und welchen Regeln folgen die Hersteller überhaupt?
W.K.: Die wichtigen Elemente sind Transparenz und das Solidarprinzip. Verstößt jemand in der Gruppe gegen die aufgestellten Regeln, in unserem Fall gegen die Regeln zu klimaneutraler Bewirtschaftung, ist die ganze Gruppe davon betroffen. Nicht der Bauer verliert sein Siegel, sondern die ganze Gruppe. Dieses Solidarprinzip trägt dazu bei, dass die Produzenten sich auch untereinander kontrollieren. Außerdem besteht eine Berichtspflicht gegenüber lokalen und regionalen Comites, die zur Überwachung der Prozesse gebildet werden. Dort sind auch Verbraucher im Boot, die alles jederzeit transparent nach Außen vermitteln können.
Wie läuft die Umsetzung Ihrer PGS-Version konkret in Peru ab?
H.S.: Nach unseren Vorstellungen erreichen wir das durch Stilllegungen von Flächen im Besitz der Bauern. Primärregenwald, originärer Urwald, bleibt dauerhaft unangetastet. Sekundärregenwald, zerstörter Primärwald für wirtschaftliche Zwecke, wird nicht mehr gerodet, sondern bepflanzt mit Edelhölzern, die nur in Symbiose mit einem biodiversitätsreichen Regenwald aufwachsen. Die Hölzer können nach 20 bis 40 Jahren geerntet werden. 90% der Bäume bleiben jedoch unangetastet und tragen zur CO2-Bindung bei. Die Überwachung erfolgt über Satelliten- oder Drohnenaufnahmen.
W.K.: Ziel ist es, dass die Kaffee-Röster oder jede andere Firma dann die CO2-Zertifkate kaufen können, um ihren Kaffee CO2-neutral anbieten zu können. Sie können sich vom Comite eine Emissionsbilanz erstellen lassen, als Grundlage dienen die Richtlinien des Greenhouse Gas Protocoll. Jetzt können sie so viele Zertifikate erwerben, um ihre Emission auszugleichen. Das Gute dabei ist: CO2 muss nicht dort eingespart werden, wo es entsteht, es kann überall auf der Welt passieren. Und auch der Kaffeetrinker kann am Ende der Kette durch den Kauf von CO2-neutralem Kaffees einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Eine Win-Win für alle.
Bedeuten Stilllegungen für einen Bauern nicht wirtschaftliche Bedrängnis?
W.K.: Das Gegenteil ist der Fall: für den Bauern ist es ein zusätzliches Einkommen. Für stillgelegtes Gebiet bekommt er eine Entschädigung in Form eines CO2-Zertifikates, das ein Röster erwirbt, oft zusammen mit seinem Kaffee.
H.S.: Außerdem erhält der Bauer Schutz durch die Gruppe. Erzeuger und Verbraucher bilden eine Wirtschaftsgemeinschaft. Walter Knauer wird als Abnehmer Satinaki z.B. bei Rohkaffee nie kurzfristig eine Abnahme verweigern oder mehr fordern als die Bauern erzeugen können. Die Verbraucher sichern eine Abnahme garantiert zu und das zu fairen Preisen. Das bedeutet Planungssicherheit und wirtschaftliche Stabilität für die Bauern.
Das bedeutet auch, dass sich Röster bzw. Händler Risiken mit dem Bauern teilen, oder?
H.S.: Es ist der persönliche Bezug zueinander, dieses Verhältnis setzt Vertrauen voraus, alle Beteiligten werden sich ihrer Verantwortung füreinander bewusst, eine gemeinsame Wertefindung entsteht. Wir erleben, wie das Miteinander sich um Qualität, Transparenz und Naturschutz kümmert. Das ist zukunftsfähige Landwirtschaft für uns!
Klingt nach Potenzial für einen generellen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft. Warum ist dieses Modell nicht häufiger anzutreffen?
W.K.: Ich denke, dass es eine Vertrauensfrage ist. Nachvollziehbar ist zunächst, dass das PGS als Siegel unschlagbar preiswert ist. Es fehlt jedoch eine herkömmliche offizielle Kontrollinstanz, die bei Menschen gewöhnlich Vertrauen generiert. Dieses Vertrauen gilt es, mit Transparenz zu schaffen.
H.S.: Das PGS gibt es hauptsächlich in südlichen Ländern, mit Erfolg, weil es noch so viel Entwicklungspotenzial gibt. Die Mittelschicht dort wächst und möchte bewusst einkaufen, die Preisdifferenz zwischen konventioneller und ökologischer Ware ist noch nicht so groß wie bei uns.
Ihre Version des PGS ist jedoch neuartig…
H.S.: Ja, während das PGS-Bio-Siegel bereits in den genannten Ländern erfolgreich läuft, gibt es noch nichts Vergleichbares bei den CO2-Zertifikaten.
EU-Chefin Ursula von der Leyen will die Klimaneutralität bis 2050 gesetzlich festschreiben lassen. Fühlt ihr euch als Pioniere auf dem Weg zu diesem großen Ziel?
W.K.: Man kann unser Projekt als Pionierarbeit bezeichnen. Wir machen das jedoch nicht, weil wir Lorbeeren ernten wollen. Wir wollen etwas voranbringen! Das Schöne ist: die Leute sehen nicht nur ihren Nutzen, sie sind begeisterungsfähig, das zählt. Pacha Mama ist heute bereits als klimaneutral ausgezeichnet. Zertifikate über unseren eigenen PGS-Ansatz zu erwerben wird allerdings noch ein bis zwei Jahre dauern. Es liegt noch Arbeit vor uns.
H.S.: Solche Projekte leben v.a. von persönlichen Begegnungen, so bekommen sie erst Bedeutung. Michael Scherff, unser „Mann vor Ort“ direkt in Miguel Grau, ist deshalb von unschätzbarem Wert. Um dieses Verhältnis zu vertiefen, entsendet Ecoselva immer wieder Freiwillige nach Miguel Grau zum Austausch, und wir arbeiten zusammen mit der Kooperativen Satinaki, der peruanischen NGO IDMA, dem WWF in Peru der Firma Knauer & Knauer und der Murnauer Kaffeerösterei als erste Partner. Wir sind sicher, weitere werden dazukommen
Wie kann man euch erreichen, um sich zu informieren?
W.K.: Wir sind zu erreichen unter www.peru-kaffee.de und www.ecoselva.de. Wir freuen uns über jegliches Interesse!
Fotos: © Pacha Mama, ecoselva