Aurelia verkostet in Peru während der Erntezeit täglich neun Stunden eine Kaffeeprobe nach der anderen. Die Kaffeeexpertin von „PachaMama“ war drei Monate zu Gast in einer deutschen Rösterei, die den Kaffee röstet, den sie zuhause in Peru frisch von den Farmen in Sachen Qualität inspiziert. Ein Bericht über Röstkurven, Schlürfkonzerte und das unbekannte Aromen-X.
Aurelias lächelnde dunkelbraue Augen verengen sich zu Schlitzen, fliegen mit Weltmeistergeschwindigkeit über die vielen Kaffeebohnen in einem Schüsselchen und inspizieren streng. Aurelia findet alle, die nicht passen, die „grano bola“, erklärt sie auf Spanisch. Ein mikroskopisch kleiner Stich, eine winzige Unebenheit in der Farbe, ein bisschen zu rund – das war’s für die Bohne. Dem Blick der Bohnendetektivin bleibt nichts verborgen. Von den sieben Proben, um den neuen Kaffee des Monats Juni zu küren, haben vier Aurelias Prüfung standgehalten und rattern dann durch die Mühle. Der ganze Raum ist durchdrungen vom köstlichen Duft frisch gemahlenen Kaffees. Jetzt beginnt das Schlürfkonzert. Mit dabei: Röstexperte Thomas Eckel, Inhaber der Murnauer Kaffeerösterei. Eine Übersetzungs-App ersetzt sein nicht vorhandenes Spanisch. Hat die sich aufgehängt, geht Kommunikation nur noch mit Händen und Füßen. Diesen Stolperstein schieben alle stoisch zur Seite, irgendwie geht’s dann doch immer…
Die beiden schlürfen sich hochkonzentriert durch die Proben – das fördert das intensive Geschmacksempfinden. Ein kurzer Moment mit konzentriertem Blick in den Boden, dann beschreibt Aurelia mit der Sicherheit ihrer jahrelangen Kaffeeerfahrung den geschmacklichen Kleinkosmos jeder Probe. Auch Thomas schmeckt heraus, was normalsterbliche Kaffeetrinker im Leben nicht erkennen: Kakao, Honig, Krokant, Papaya, hier ein Hauch von Jasmin und da eine Ahnung von Walnuss, Mandel oder Zimt…
Die andere Seite kennenlernen – so funktioniert Direct Trade
Mit Aurelia läuft es hier fast täglich während ihres Aufenthaltes so oder so ähnlich und verblüfft mit ihrer Kaffeeexpertise. Thomas, erfahrener Röstmeister und Chef-Ciplom-Kaffeesommelier, ist ziemlich fasziniert von ihrem Wissen. Thomas freut sich, denn es findet statt, was er sich gewünscht hat. Er hat Aurelia von Peru für drei Monate nach Deutschland geholt. Dort ist sie der Kopf im Qualitätsteam der Kooperative Satinaki. Sie produziert Kaffee für die Marke „PachaMama“, deren Kaffee die Murnauer Kaffeerösterei über Direct Trade bezieht. Dazu soll ein Wissensaustausch stattfinden. „Kaffee ist so weit weg für uns, Hersteller und Kunden können trotz aller Kommunikation die andere Seite nicht vollständig kennen. Die drei Monate mit Aurelia sind deshalb eine wertvolle Gelegenheit“, sagt Thomas.
Aus diesem Grund ist alles straff geplant. Thomas möchte, dass Aurelia alles kennenlernt, was am Ende der Wertschöpfungskette von Kaffee passiert – vom Etikettenaufkleben im Vertrieb über die Arbeit am Röster und das Sichten von Proben bis zur Arbeit im Kaffeehaus der Rösterei, wo Aurelia schließlich auf die Menschen trifft, die ihren Kaffee aus Peru trinken. Sogar auf einer Messe war sie schon dabei. Vor allem aber wird gemeinsam verkostet. Das ist Thomas besonders wichtig, denn er möchte „das deutsche und das peruanische Geschmacksempfinden aufeinander kalibrieren“.
“Die Bauern müssen zu mir ins Kaffeelabor”
Mit dieser Erwartung kam auch Aurelia hierher. Seit drei Jahren ist sie im Qualitäts-Team bei „PachaMama“, davor hat sie als landwirtschaftliche Beraterin im Kaffeeanbau gearbeitet. Während der Ernte in Peru analysiert und verkostet sie nach strengem Protokoll über drei Monate hinweg täglich von 8 bis 17 Uhr die Proben von etwa 60 Kaffeebauern, von denen jeder im Schnitt acht Kaffees zu ihr bringt. Ihrem Urteil vertrauen die Bauern blind, auch wenn es mal nicht zu ihren Gunsten ausfällt. „Sie haben sich an diesen strengen Standard gewohnt und wissen, dass es ihnen etwas bringt. Es gibt ja nur eine Ernte im Jahr. Sie ist die Arbeitsgrundlage für alle Bauern, mit denen ich daran arbeite, dass ihre Ernte im Folgejahr noch besser wird. Deshalb steigt die Qualität ständig“, berichtet sie nicht ohne Stolz. Ihr Ziel: endlich in den internationalen Cup of Excellence einziehen. Heiße Kandidaten habe sie schon dafür.
Menschen verschiedener Kontinente haben ein unterschiedliches Kaffee-Geschmacksempfinden
Die Welt der Kaffeearomen, in die sie hier eintauchen kann, sei deshalb sehr wertvoll für sie. In Peru gibt es nämlich nur peruanischen Kaffee. In der Murnauer Kaffeerösterei verkostet Aurelia Kaffees aus allen Teilen der Welt. Gerade hier offenbaren sich die Unterschiede zwischen dem deutschen und peruanischen Gaumen. „Aurelia kann Aromen beschreiben, die für uns nur schwer zu fassen sind“, sagt Thomas. Sie kann sie benennen z.B. mit Früchten, die hier in Deutschland unbekannt sind. Thomas hingegen kann Aromen mit Lebensmitteln benennen, die Aurelia wiederum nicht kennt. Das ist es, was er meint mit dem Kalibrieren der Geschmacksnerven: Aromen so zu beschreiben, damit die andere Seite den Teil mit dem unbekannten Aromen-X versteht.
Die letzten Sekunden am Röster sind kritisch
Wo Thomas regelmäßig verblüfft ist von Aurelias Scharfsinn für Aromen, eröffnet sich für die Peruanerin in anderen Bereichen ein neuer Horizont. Der klischeehafte deutsche Sinn für Ordnung und Struktur war das erste, was bei ihr tiefen Eindruck hinterlassen hat. „Es ist alles so schön ordentlich“, findet sie und denkt darüber nach, wie sie den Betrieb zuhause umgestalten kann. Das sorgsame Etikettieren und Verpacken, das genaue Beschreiben der unterschiedlichen Kaffees und das spezifische Kursangebot findet sie „impresionante“. Vor allem aber fasziniert sie das strukturierte Vorgehen beim Rösten. Aufmerksam beobachtet sie jeden Schritt, wenn Thomas im Notebook digitale Röstprofile erstellt. Er kennt alle „seine Bohnen“ und weiß, wie lange und wie heiß sie am besten geröstet werden. Routiniert wischt sein Finger über die glatte Fläche und justiert die Temperaturkurven – tippen, eingeloggt. Diese digitale Möglichkeit zu rösten wünscht sich Aurelia auch für Zuhause. „So geht das viel genauer und planbarer. In Peru haben wir nur einen Thermometer, eine Stoppuhr und die Nase zum Riechen, wann die Bohnen fertig sind“, berichtet sie. Es ist zum großen Teil das Gefühl, worauf sie in Peru vertrauen muss. „Die Technik ist ein großer Vorteil. Mit digitalen Kurven alleine ist es aber nicht getan“, weiß Thomas. Ein Gefühl für die Bohne, sagt er, müsse man schon mitbringen. Eine Kurve muss täglich neu eingestellt werden, weil Luftdruck und Feuchtigkeit nie dieselben sind und wichtige Parameter beim Rösten sind. Trotzdem bleibt er immer am Röster stehen, hört genau hin, wann der „first crack“ einsetzt, das erste Knacken der Bohnen im Röster. Und dann macht er die Schotten dicht, um nicht den Punkt zu übersehen, wann er den Röster ausschalten muss. „Am Ende sind es oft nur 6 oder 7 Sekunden, die entscheiden, ob die Röstung gelingt“, sagt er. „Bitte nicht mit dem Röster sprechen“ – so ein Schild, findet er, sollte irgendwo in jeder Rösterei hängen. Aurelia lächelt und weiß genau, wovon er spricht…
Eine weitere Station ist der Kaffeehausbetrieb. Auch dort trifft Aurelia auf den roten Faden geordneter Struktur. Alles hat seinen Platz, seinen genauen Ablauf, jeder Kaffee wird detailliert beschrieben, und es gibt für jede Röstung im Ausschank eine extra Mühle. „In Peru gibt es nur eine Mühle für alle Kaffees. Das kann natürlich den Geschmack verfälschen“, erzählt sie. „Die meisten Cafés in Peru bauen ihren eigenen Kaffee an“, berichtet Aurelia. Wie er dann in peruanischen Tassen ladet, ist gar nicht so anders als bei uns: Cappuccino, Americano und Espresso sind dort sehr gängige Getränke.
“Kaffee braucht mehr Wertschätzung, es steckt viel harte Arbeit darin!”
Für Aurelia ist Kaffee nicht nur ein Produkt. Er ist eine Art Lebensbegleiter. Sie ist mit ihm aufgewachsen, wie die meisten Menschen in Peru. Sie weiß deshalb genau, welche Arbeit in jedem Sack Bohnen steckt. Sie nutzt diese drei Monate, um uns davon zu erzählen. „Guten Kaffee anzubauen erfordert Geduld, Wissen und harte Arbeit. Den meisten Menschen ist gar nicht klar, wie anstrengend das sein kann, weil sie zu weit weg sind von uns. Diese Arbeit braucht unbedingt Wertschätzung, guter Kaffee ist sonst nicht möglich“, ist Aurelia überzeugt.