Kaum ein Getränk schafft es, Menschen so zusammenzubringen wie Kaffee. Ein Erklärungsversuch, warum das so ist, mit einer kleinen Zeitreise durch die Geschichte des Kaffeetrinkens.
Gegen Abend hin wird es auch mal ein Bier, in den meisten Fällen ist es jedoch ein Kaffee. Freunde laden wir zum Kaffee ein, am Arbeitsplatz trifft man sich zur Kaffeepause, und das Date am Abend bittet man eher selten auf eine Limo herein – sondern auf einen Kaffee. Mit Kaffee kann man in der Regel nichts falsch machen – laut Deutschem Kaffeeverband trinken 86% aller Deutschen Kaffee. Er schmeckt uns also. Aber da ist noch mehr. Kaffee hat etwas Besonderes. Er bringt uns zusammen wie kaum ein anderes Getränk, sei es in lockerer Atmosphäre oder ganz vertraulich. Er hat es sogar geschafft, einen Weg in unsere Rituale zu finden. Und das will was heißen. Psychologen wissen: Rituale gehören zu den ersten grundlegenden Erfahrungen, die wir Menschen machen. In ihren wiederkehrenden Abläufen schaffen sie Vertrauen, ein Wir-Gefühl, im ganz Großen prägen sie sogar kulturelle DNA. Im Fall von Kaffee gibt es die kleineren Rituale wie die erste Tasse Kaffee am Morgen oder die Kaffeepause als fixen Punkt von Veranstaltungen egal welcher Art. Und es gibt die größeren Rituale. In Äthiopien etwa die berühmte Kaffeezeremonie, die immer auf dieselbe Art abläuft und alle Nachbarn zusammenbringt. Die Zubereitung des Espressos ist in ihrer ritualisierten Art so stark mit der italienischen Seele verbunden, dass sie in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen werden soll. Und in der Türkei ist das Mokkatrinken eine sehr traditionelle Sache.
Wie es dazu kam, dass Kaffee diesen Status erreichte? Auch wenn die kleine Bohne mit ihren über 800 natürlichen Aromen strotzt – Geschmacksache allein kann es nicht sein. Ein Blick in die Geschichte des Kaffeetrinkens erklärt, warum das so sein könnte…
Kaffeetrinken: eine noble Sache
Bis der europäische Kaffeemarkt ins Laufen kam, müssen wir ins 16. Jahrhundert zurück. Europäische Händler lernten Kaffee im arabischen Raum und im Osmanischen Reich kennen und brachten ihn mit nach Hause. Bald schon entstanden in großen Städten die ersten Kaffeehäuser: 1647 in Venedig das heute noch berühmte Caffé Florian, in London 1652 das Virgin Coffee House. Auch in Deutschland entstanden traditionsreiche Häuser wie das Kaffeehaus Schütting in Bremen, das 1673 als erstes deutsches Kaffeehaus öffnete. Kaffeehäuser waren zu dieser Zeit den wohlhabenden Kreisen städtischer Eliten und des Adels vorbehalten. So war es z.B. beim Café Prinzess in Regensburg, das es 1682 bereits gab, kein Zufall, dass es direkt gegenüber dem Rathaus öffnete, wo Fürsten und Bischöfe verkehrten. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend waren es übrigens erst allein Männer, die die Kaffeehauskultur prägten, Frauen hatten keinen Zutritt zu den Kaffeehäusern.
Kaffee wird Imagesache
Um 1750 herum setzte eine Wende im Konsumverhalten ein, wie Kulturhistoriker Ulf Morgenstern von der Universität Hamburg beschreibt:
Kaffee war ein absolutes Luxusgut, und das brachte in eine hochkultivierte Welt, wie es Europa in der frühen Neuzeit war, eine völlig neue kulturelle Dimension des Essens und Trinkens. Die Getränke vorher waren entweder reine Zweckgetränke, dass man Wasser getrunken hat oder Bier gegen den Durst. Oder es waren Luxusgetränke wie Wein oder Brände. Aber ein nichtalkoholisches Genussgetränk war völlig unbekannt.
Kaffee als alkoholfreies Genussmittel ermöglichte es nun also auch tagsüber unverfänglich zu genießen. Und: Kaffee zu trinken wurde zur Imagesache. Ab einem gewissen Zeitpunkt konnte sich kaum jemand von Rang und Namen mehr dem Kaffee entziehen. Lieselotte von der Pfalz etwa, Schwägerin des Sonnenkönigs Ludwig XIV., beschreibt 1714 in einem ihrer vielen Briefe, die große Lust an diesem neuen Getränk, das man – zu ihrem Leidwesen – in ihren Kreisen feierte: „Kaffee (…) kann ich nicht leiden, auch nicht begreifen, was man (da)von (…) hermacht! (…) Eine Kohlsuppe mit Speck ist mir lieber als alle Näschereien, auf die man hier in Paris so erpicht ist.“
Hawelka, Procope & Café Central: wo sich die Gesellschaft geistig zusammenfindet
Zwischenzeitlich gerieten Kaffeehäuser in liederlichen Ruf – v.a. junge Männer aus Kaufmanns- oder Adelsfamilien fanden sich mancherorts dort ein zu Glücksspielerei und Schäferstündchen. Berühmt für seine Ausschweifungen im Wiener Hotel mit Kaffeehaus Sacher war z.B. der junge Habsburger Erzherzog Otto. Einmal soll er dort nur mit einem Säbel am Gurt und weißen Handschuhen bekleidet für Aufsehen gesorgt haben. Um 1800 entwickelte sich dann die Art von Kaffeehauskultur, die das heutige Verständnis davon prägt: Geselligkeit verband sich über eine Tasse Kaffee mit geistigem Austausch, es entstand eine eigene Salonkultur mit Kaffeehausmusiken und Leseclubs. Kaffeehäuser wurden zu Treffpunkten, wo gesellschaftliches, kulturelles und intellektuelles Leben pulsierte. Die bisher in privaten Räumen oder Clubs geführten Unterhaltungen und Diskurse unter Gelehrten traten plötzlich aus dem höfischen Dunstkreis in den öffentlichen Raum und waren nun für Bürger zugänglich. Künstler, Schriftsteller, Philosophen suchten Kaffeehäuser auf und machten sie zu bedeutsamen Orten des intellektuellen Lebens.
So haben einige Kaffeehäuser heute eine Art Pilgerstätten-Status wegen ihrer berühmten Gäste wie das erste Pariser Café, das Café Procope, in dem sich Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir einfanden, und davor bereits die großen Philosophen Rousseau und Diderot, das Wiener Café Hawelka, besucht von Friedensreich Hundertwasser, Andy Warhol und Peter Ustinov oder das Wiener Café Central, aufgesucht u.a. von Sigmund Freud, Franz Werfel und Hugo von Hofmannsthal.
Die Melitta-Tüte: Kaffee wird Massengetränk
Diese neue Art von Kaffeehäusern war ein Meilenstein in der Geschichte der Kaffeetrinkkultur, der Weg zum Massengetränk, das Kaffee ab Mitte des 19. Jahrhundert wurde, war geebnet. Dazu stieg mit der Industrialisierung die Kaufkraft breiterer Schichten. Parallel dazu entwickelte Melitta Benz um 1900 die Filtertüte, die Kaffeegenuss nun auch zuhause unkompliziert ermöglichte und in den privaten Raum hineintrug. Zwischen den Kaffeekulturen der verschiedenen sozialen Schichten lagen aber noch Welten. Während sich im wohlhabenden Bürgertum feines Kaffeeporzellan etablierte und der Genuss von Kaffee im Vordergrund stand, wurde Kaffee in einfacheren Schichten aus großem, schüsselartigem Geschirr getrunken als nützlicher Wachmacher. Er stand oft den ganzen Tag über auf dem Herd und wurde warmgehalten. Echter Kaffee war nur etwas für den Sonntag, weil er immer noch teuer war. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gab es daher unter der Woche oft Kaffeeersatz wie Getreide- oder Zichorienkaffee. Dann erst wurde er erschwinglich für die breite Masse.
Vom Kaffeekränzchen über die Latte-Kultur zur Brew Bar
Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg schwappte die Kaffeewelle vollends durch alle Schichten. Die Menschen gingen wieder auf Reisen und entdeckten dabei die italienische Kaffeekultur, die bis heute mit Latte & Co. exemplarisch für ein beschwingtes Lebensgefühl im Urlaubsmodus steht. Mit ihrer cremigen Trendigkeit zog in den 1970ern ein neuer Lifestyle ein. Cafés schossen aus dem Boden, verbannten steife Klöppeldeckchen und schafften Nischen für einen Rückzug à la wie im Wohnzimmer, handschmiegige Coffee-Mugs ersetzten geblümtes Porzellan.
Neben dem Wohlfühl-Moment, für den Kaffee stand, entwickelte sich mit dem modernen Leben zugleich ein gegensätzlicher Trend. Der urbanen Geschäftigkeit entsprechend kam der Coffee to go auf als schnell verfügbarer Wachmacher und Kurzgenuss. Ulf Morgenstern beobachtete, dass das Coffee to go-Trinken regelrecht stylischen Charakter bekam, der Pappbecher in der Hand als Erkennungszeichen der agil-mobilen Kaffee-Community. Das hatte auch einen Effekt auf die Wahrnehmung von Kaffee. Einstiges Luxusgut und in ärmeren Schichten immer nur sonn- oder feiertags serviert im familienheiligen Kaffeeservice – Kaffee wurde plötzlich kein großer Wert mehr beigemessen, weil er mit einem Fingerschnipp schnell und billig zur Verfügung stand. Dieses Verständnis von Kaffee ist durch die Massenproduktion immer noch präsent, zu Teilen ändert sich das jedoch. Die Kritik an den Müllbergen der to go-Becher, das Thema Entschleunigung und das gestiegene Qualitätsbewusstsein holen die Menschen wieder zurück an die Tische. Gerade die Generation Z, die 16 bis 25-Jährigen zeigen Interesse am Thema Nachhaltigkeit und kaufen nicht preis- sondern qualitätsorientiert, wie der Dt. Kaffeeverband feststellte. Diesen Trend spiegeln auch die sog. Brew Bars: Cafés in denen das Kaffeekochen von Spezialitätenkaffee zur Handwerkskunst erhoben wird. Gut informierte Kundschaft sucht sich einen Kaffee aus, der dann vor den Augen von professionellen Baristas zubereitet wird, gerne mit kleiner Plauderei unter Kaffeenerds.
Zuerst Luxusgut, dann Genussmittel für alle, dabei immer sozialer Eisbrecher und international wirksamer Superkleber von Zwischenmenschlichkeit – Kaffee prägte über Jahrhunderte hinweg zu einem Teil unsere sozialen Begegnungen. Kaffee verstand es, unsere Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Genuss miteinander zu verbinden. Bis heute. Und das ist doch mal eine Leistung…
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