Schon mal so richtig guten Kaffee getrunken? Dann war das sehr wahrscheinlich Specialty Coffee, zu Deutsch: Spezialitätenkaffee. Das klingt schon so besonders. Ist es auch. Was genau aber macht diese Kaffees so besonders? Worin unterscheiden sie sich von normalen Kaffees? Und wer vergibt dieses Edel-Etikett? Hier findest du die Antworten.
Um zu erklären, was Specialty Coffee ist, wollen wir zuerst über eine Frau sprechen. Erna Knutsen ist ihr Name und sie ist niemand geringeres als die verehrungswürdige First Lady aller Specialty Coffees. 1974 verwendete sie diesen Begriff das erste Mal in einer Ausgabe des Tea & Coffee Trade Journal. Die Norwegerin sprach darin von Kaffeebohnen höchster Qualität aus einem besonderen Mikroklima. Aus diesem Begriff wurde eine Bewegung, eine neue Nische entstand schließlich im Kaffeemarkt: für Kaffee von höchster Qualität.
Ein großes Verdienst. Nicht nur für Kaffee übrigens, sondern auch für Frauen. Erna Knutsen arbeitete als Sekretärin in Kaffeefirmen. Ihr war es vorbehalten, an Cuppings und Röstungen teilzunehmen. Die Kaffeeenthusiastin gründete daher 1986 eine eigene Firma, die Knutsen Coffee Ltd., in der sie mit Specialty Coffee selbst handelte und ihr niemand mehr irgendetwas verbot. Zudem wirkte sie mit an der Gründung der Specialty Coffee Association (SCA), dem Verband, in dem sich heute alle Profis von Specialty Coffee rund um den Globus die Hand geben. Mit ihrem außerordentlichen Sinn für Kaffeequalität ist es Erna Knutsen zu verdanken, dass der kleine hochwertige Anteil von rund 5% der gesamten Welternte sein angemessenes Rampenlicht bekam.
Was ist Specialty Coffee?
Specialty Coffee ist mehr als nur die Info „100% Arabica“ oder um welche Varietät es sich handelt. Specialty Coffee muss in jedem Schritt innerhalb seiner Produktionskette strengste Qualitätsstandards erfüllen, von Anbau über Aufbereitung und Röstung bis zur zubereiteten Tasse. Diese Standards werden festgelegt von der SCA. Sie formuliert ihre Idee von Specialty Coffee so:
„Specialty Coffee ist nicht die Arbeit einer einzelnen Person in der Wertschöpfungskette einer Kaffeebohne. Das Besondere kann nur entstehen, wenn alle, die in dieser Kette beteiligt sind, in Harmonie zusammenarbeiten und den unbedingten Fokus auf Standards und Exzellenz aufrechterhalten von Anfang bis Ende. Das ist keine einfache Leistung…“ (übersetzt aus dem Englischen)
Specialty Coffee ist also die Essenz vieler Kaffeekompetenzen. Ein unachtsamer Röster oder ein leidenschaftsloser Barista kann das besondere Werk Specialty Coffee, an dem alle vorher in der Wertschöpfungskette gearbeitet haben, ruinieren. Da die SCA jedoch nicht in jede Rösttrommel etc. blicken kann, beschränkt sie sich auf unmittelbar Messbares. Um Kaffee miteinander vergleichbar zu machen in objektiven Qualitätskriterien, gibt es derzeit SCA Standards für den ungerösteten Rohkaffee, das Wasser zum Brühen und das sog. Cupping, die Verkostung.
Bis ins Kleinste vorgeschrieben: Die Standards der SCA
Die Bewertung von Rohkaffee erfolgt durch das gute alte Verlesen von Hand. Gute Noten für grüne Kaffeebohnen gibt es z.B., wenn sie ebenmäßig geformt und frei von sog. Primärdefekten sind, also etwa keine Bruchstellen haben. Dazu darf sich die Restfeuchtigkeit nur in einem bestimmten Korridor bewegen. Damit im anschließenden Cupping alleine der Kaffeegeschmack transportiert wird, muss auch das Brühwasser bestimmte Standards einhalten. Es muss klar und frei von Gerüchen sein, darf keine Zusatzstoffe aufweisen, zudem muss es pH-neutral sein und darf bestimmte Werte wie von Kalk nicht überschreiten.
Der Kandidat braucht 100 Punkte: Das Cupping
Die Verkostung von Kaffee ist der bekannteste und anspruchsvollste Standard der SCA für Kaffeequalität. Die Kaffees werden von sog. Q-Gradern bewertet in einem 100-Punkte-System. Das Instrument für ihre Bewertung ist das Cupping Protokoll der SCA. Dieses Protokoll hat sich mit seinem standardisierten System als international anerkanntes Tool durchgesetzt. In diesem Formular finden alle Cupper eine gemeinsame Sprache zur Qualität von Kaffee, egal ob Q-Grader oder SCA-Mitglied.
Bewertet wird in den Kategorien Duft, Aroma im Mund, Geschmack, Nachgeschmack, Säure, Süße, Trinkgefühl und Gesamteindruck. Dazu gibt es eine Wertung, wie einheitlich gut die jeweils zubereiteten Tassen schmecken und ob es sog. Defects, also Fehlaromen, in der Tassenserie gibt. Je spannender und vielfältiger die Kaffees in aromatischen und geschmacklichen Profilen sind, desto höher werden sie bewertet. Kaffees, die die 80 Punkte knacken, dürfen einziehen in die Holy Lounge of Specialty Coffee.
- < 80 Punkte = Mainstream-Kaffee
- 80 bis 84,75 Punkte = sehr guter Kaffee
Die magische Grenze, um als Specialty Coffee gelabelt werden zu dürfen, ist geschafft! Kaffees mit dieser Punktezahl sind bereits richtig gut und haben geschmacklich besondere Merkmale mit feinen Aromen. - 85 bis 89,75 Punkte = ausgezeichneter Kaffee
Ab dieser Punktezahl werden bereits Cup of Excellence-Gewinner versteigert. Diese Kaffees zeichnen sich aus durch komplexe Aromenprofile mit angenehmer Süße. Meistens gibt es nur geringe Mengen davon, gehen daher als Special Editions über den Tisch. - 90 bis 100 Punkte = herausragender Kaffee
Hier spielt die absolute Königsliga: weniger als 1% der weltweit geernteten Kaffees knacken die 90 Punkte, die Auszeichnung „Presidential Award“ inklusive. Ihre aromatischen Profile sind noch prägnanter und außergewöhnlicher.
Clean Cup, Mouthfeel, Aftertaste – mehr zur Sprache der Kaffeeprofis findest du hier.
Auf Qualität geeicht: Was ist ein Q-Grader?
Q-Grader haben ihre sensorischen Fähigkeiten auf ein herausragendes Level trainiert. Dafür durchlaufen sie das Q-Grader Programm des Coffee Quality Institutes, die härteste Kaffee-Sensorik-Ausbildung der Welt. In 20 Prüfungen stellen sie ihre Fähigkeiten unter Beweis in Sachen sensorische Analyse und der Beurteilung von Rohkaffee. Das schaffen nicht alle, die sich dafür angemeldet haben. In Deutschland gibt es derzeit 44. Nach drei Jahren muss man die Prüfungen erneut ablegen. So ist sicher, dass Q-Grader immer auf dem höchstmöglichen Level urteilen.
Das Entscheidende an ihrer Ausbildung ist: persönliche Vorlieben hin oder her – Q-Grader sind alle darauf geeicht, Qualität anhand einzelner Merkmale zu erkennen und objektiv zu bewerten. In vielen Testreihen über mehrere Jahre hinweg hat die SCA festgestellt, dass Q-Grader persönliche Kaffeevorlieben ausblenden können und in ihren Urteilen zur Qualität von Kaffee nahezu deckungsgleich bewerten. Das Urteil eines Q-Graders ist also zuverlässig und kann man als in Stein gemeißelt betrachten. Deshalb entscheidet ihre Einschätzung maßgeblich über den Verkaufspreis eines Rohkaffees.
„Außerdem haben sie eine wichtige Schnittstellenfunktion“, sagt Piotr Kotarba, Q-Grader und Trader im Kaffeehandelshaus von List + Beisler in Hamburg. „Sie geben Kaffeeproduzenten eine Rückmeldung zur Qualität ihrer Kaffees und geben ebenso potenziellen Käufern Auskunft.“ Darüber hinaus arbeiten immer mehr Unternehmen und Röstereien, große wie kleine, mit Q-Gradern zusammen und erschließen sich so das Vokabular, das zu den sensorischen Eindrücken passt. „In der Ausbildung lernt man, Kaffee so präzise wie möglich entlang eines Rasters zu beschreiben“, fährt Piotr fort.
„Spricht man diese Sprache, ist die Kommunikation im Handel und in Ursprungsländern deutlich einfacher. Es muss nicht lange eruiert werden, wer was unter Qualität versteht.“ Q-Grader bewerten die Qualität von Arabica-Kaffees, die allgemein als hochwertiger gelten als Robusta-Kaffees. Mittlerweile klettern jedoch auch Robustas die Sprossen der Qualitätsleiter nach oben, sodass es seit kurzem auch ein R-Grader Programm gibt.
Checkliste: Daran erkennst du Specialty Coffee
Begriffe wie „Premiumkaffee“ oder „Gourmetkaffee“ springen aus so manchem Supermarktregal ins Gesicht. Klingt ja auch schön exklusiv. Mit Specialty Coffee muss das aber nicht unbedingt zu tun haben. Sobald du folgende Liste an Merkmalen abhaken kannst, kannst du sicher sein, dass du tatsächlich Specialty Coffee vor dir hast:
Die Verpackung
Ein Merkmal guter Röstereien sind Verpackungen mit sog. Aromaventil. Direkt nach dem Rösten verströmen die Kaffeebohnen am meisten CO2. Das bläht die Packung auf, die u.U. platzen kann. Über ein Aromaventil kann dieses Gas austreten, ohne dass Luft von außen nach innen kann. Ein kleiner Haarriss reicht schon, damit Sauerstoff eindringt, der den Alterungsprozess von Kaffee beschleunigt.
Die Punkte
Die Bewertungen aus dem Punktesystem der SCA sind eher Orientierung im Kaffeehandel. Einige Röstereien geben die Punkte daher nicht an auf ihren Kaffeetüten, obwohl sie Specialty Coffee darin verpackt haben. Findest du jedoch eine Punkteangabe, ist das ein Anzeichen dafür, dass ein Cupping-Protokoll dahintersteht.
Der Preis
Specialty Coffee stammt meistens aus kleinbäuerlichen Betrieben oder von Farmen, die Kaffeegenossenschaften angegliedert sind. Diese Farmen bauen auf max. 5ha ihre Kaffees an. Das führt zu geringen Mengen und entsprechend wenig Angebot, sodass es oft wenige Sack davon gibt. Zudem ist hohes Knowhow und hoher Aufwand für die Farmen verbunden in jedem Produktionsschritt, dasselbe gilt für den Röster. Unter dem Strich kostet Specialty Coffee daher mindestens 20€ pro Kilo, aufgrund allgemein gestiegener Kosten sind Beträge ab 30€ gängig.
Die Bohne
Bietet eine Rösterei dir nur gemahlene Kaffees an, kannst du sicher sein, dass das kein Specialty Coffee ist. Gute Röstereien bieten Specialty Coffee immer in ganzer Bohne an, auf Wunsch gibt es auch die gemahlene Version. So kannst du das Bohnenbild und den Röstgrad nachvollziehen.
Die Info
Röstereien, die hochwertigen Kaffee kaufen, geben sich mit „100% Arabica“ als Aushängeschild nicht zufrieden. Sie unterhalten oft enge Kontakte zu den Herstellern und sind bestens informiert. Sie wissen, woher der Kaffee genau stammt, wie Farm und Farmer heißen, um welche Varietät es sich handelt, in welcher Anbauhöhe sie gewachsen und wie sie aufbereitet wurde.
Die Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit wird neben Geschmack ein immer wichtigeres Merkmal von Kaffeequalität. Die SCA arbeitet derzeit daran, wie man diesen Komplex in die Bewertung einbauen kann. Es ist daher naheliegend, Siegel wie Bio oder Fairtrade als Garanten für Qualität einzuordnen. Das trifft so aber nicht unbedingt zu. Siegel sind Zertifizierungen, die mit regelmäßigen Zahlungen verbunden sind. Gerade kleine Kaffeefarmen können sich das oft nicht leisten – und Specialty Coffee stammt zum größten Teil aus kleinen Betrieben.
Auch wenn man kein Siegel hat, kann man trotzdem auf eine umsichtige Art und Weise anbauen, die den angeforderten Kriterien standhält. Röstmanufakturen und Importeure von Specialty Coffee suchen diese Farmen für eine direkte Zusammenarbeit. Direct Trade heißt dieses Modell. Dabei setzen sie lieber auf Transparenz, nachhaltige Strukturen und eine angemessene Bezahlung, die den Erzeugern mehr bringt als teure Siegel.
Wie beliebt ist Specialty Coffee?
Viele Menschen, die zum ersten Mal Specialty Coffee getrunken haben, schwärmen von ihrem großartigen Genusserlebnis, dem 08/15-Kaffees das Wasser niemals reichen können. Sehenswerte aromatische Profile, ein feines Säurespiel und eine Süße, die jeden Löffel Zucker verbietet. Dieses Genusserlebnis scheint für einen Teil der Deutschen mittlerweile unverzichtbar.
Die allgemeine Konsumzurückhaltung in Zeiten der Teuerung im vergangenen Jahr scheint laut einer Marktforschung des Deutschen Kaffeeverbandes Specialty Coffee nicht allzu sehr zu treffen. Besonders treue Kunden bestimmter Marken nehmen eine Teuerung von 31,6% in Kauf. Wenn auch nur 6% des deutschen Kaffeemarktes von Specialty Coffee besetzt sind, spricht es doch Bände, dass nun auch die ganz großen Röstereien in diese Nische stoßen.
Fotos © List + Beisler, Murnauer Kaffeerösterei