Aftertaste, Body, Mouthfeel, Clean Cup – wenn Kaffeemenschen ein Pläuschchen halten, ist das für Normalsterbliche seltsames Kauderwelsch. Das sind Vokabeln aus der internationalen Kaffeesprache, mit der Experten die Qualität von Kaffee beurteilen. Hier machen wir dich zum Kaffee-Profi: wir erklären, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt und welchen Kriterien Qualitätskaffee standhalten muss.
Kaffee ist Geschmackssache. Der eine mag’s kräftig, der andere mild. Über die Qualität von Kaffee gibt es seltener Diskussionen: die meisten Kaffeetrinker merken, ob sie gerade guten oder schlechten Kaffee trinken. Es braucht jedoch mehr als ein „schmeckt“ oder „schmeckt nicht“. Es braucht professionelle Kaffeeverkostungen, sog. Cuppings, um die Qualität zu ermitteln. Dazu hat die Specialty Coffee Association (SCA) einen Standard in Form eines fixen Protokolls dafür festgelegt, an dem sich Cuppings weltweit orientieren.
Insgesamt sind es zehn Kategorien, in denen jeweils bis zu zehn Punkte vergeben werden können. Die Gesamtpunktzahl ergibt sich aus der Summe der einzelnen Kriterien. Kaffees zwischen 90 und 100 Punkten gelten als absolut herausragend, zwischen 85 und 89,75 Punkten als ausgezeichnet, Kaffees bis 80 Punkte gelten noch als gute Spitzenkaffees, alles darunter wird als Mainstream-Kaffee gesehen.
Aroma
Am Beginn eines Cuppings wird Kaffee nicht gleich probiert, sondern frisch gemahlen und erst einmal beschnuppert. Bereits am Geruch ist die Qualität von Kaffee messbar. Die Herausforderung dabei: unser Gehirn kann nur auf unsere Erfahrungen zurückgreifen, unbekannte Gerüche können wir schlecht einordnen. Jemand aus Peru z.B. kann einen Kaffee mit Aromen von Früchten beschreiben, die wir hier in Deutschland nicht kennen und umgekehrt.
Da Aromen vielfältig und nicht immer eindeutig zu beschreiben sind, hat die SCA das sog. Flavor Wheel entworfen. Im Kern stehen die Haupt-Aromen, von denen sich Unterkategorien ableiten lassen, auf der letzten Stufe werden Aromen konkret benannt mit bekannten Lebensmitteln, Eigenschaften oder Düften. Beispiel: Hauptkategorie: Fruchtig – Unterkategorien: Zitrusfrüchte, Trockenobst, Beerenobst, anderes Obst – spezifische Aromen: Orange, Ananas, Rosinen, Kirsche…
Bei diesem ersten Beurteilungsschritt schneidet der Kaffee gut ab bei Aromen der Gruppen Gewürze, Nuss, Süß, Blumig, Fruchtig. Keine guten Noten bekommen Aromen der Gruppen Sauer/Vergoren, Grün/Pflanzlich, Geröstet oder Sonstiges.
Bei Kaffee sind über 800 verschiedene Aromen belegt. Damit ist Kaffee ein unerreicht aromenreiches Produkt. Je nach Sorte, Varietät, Herkunftsland, Anbauhöhe, Bodenbeschaffenheit, Sonneneinstrahlung etc. stecken in den jeweiligen Kaffeebohnen ganz unterschiedliche aromatische Spektren.
Flavor oder Geschmack
Diese Kategorie beschreibt eine Art Gesamteindruck der über ihren Duft wahrgenommenen Aromen und dem Geschmack des Kaffees im Mund. Die aromatischen Spektren von trockenem und aufgegossenem Kaffee sind nie deckungsgleich. Manche Kaffees haben stark ausgeprägte Aromen, die sich vom Geschmack unterscheiden, bei anderen Kaffees sind die Übergänge von Aroma und Geschmack fließend. Um also den Geschmack von Kaffee in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, ist das Zusammenspiel der geschmacklichen Wahrnehmung von Nase und Mund notwendig. Über unsere Zunge nehmen wir die Geschmäcker süß, sauer, salzig, bitter und umami wahr. Um Aromen wie Schokolade oder Erdbeere zu erkennen, brauchen wir die Nase. Deshalb schmecken wir auch nichts bzw. nicht sehr gut, wenn wir Schnupfen haben.
Clean Cup
Mit diesem Begriff umschreiben Cupper die absolute Reinheit eines Kaffees. Ein Kaffee, der in dieser Kategorie eine hohe Punktzahl bekommt, hat keine geschmacklichen Störungen bzw. sog. Defekte, die den eigentlichen Geschmack des Kaffees vom Trinken bis zum Nachgeschmack negativ beeinflussen. Als störend gelten geschmackliche Noten wie Kartoffel, modrig, Phenol oder bitter.
Sweetness oder Süße
Guter Kaffee kommt ohne Zucker aus, eine sanfte Süße zeichnet ihn aus als gut angebautes, geröstetes und zubereitetes Produkt. Süße entsteht bereits in der Kaffeekirsche am Strauch. Wenn sie reif ist, ist sie süß und aromatisch. Diese süße, aromatische Qualität gilt auch für die Kaffeebohne. Deshalb dürfen nur reife Kaffeekirschen geerntet werden.
Auch die Art der Aufbereitung beeinflusst die Süße eines Kaffees. Bei nasser und halbtrockener Aufbereitung kann das Fruchtfleisch der Kaffeekirsche erst noch fermentieren, bevor es von der Bohne entfernt wird. So geht ein Teil des Fruchtzuckers und der Aromen auf die Bohne über, der Kaffee wird süßer und aromatisch komplexer, der Röstprozess wirkt wie ein Verstärker. Helle Röstungen sind bekannt für ihre fruchtige oder blumige Süße, dunklere Röstungen haben oft eine tiefere.
Und schließlich muss Kaffee gut zubereitet sein, damit sich diese Süße entwickeln kann. Die Art der Süße kann vielfältig sein. Afrikanische Kaffees tragen oft die Süße von Obst in sich, zentralamerikanische Kaffees haben blumig-süße Elemente, Lateinamerika glänzt mit karamellartiger und schokoladiger Süße oder Noten von Honig. Süße ist eines der begehrtesten geschmacklichen Elemente bei Kaffee. Deshalb sind Kaffees mit süßen Profilen weltweit hoch gehandelt.
Acidity oder Säure
Säure hat weithin einen schweren Stand. Diese Kategorie steht oft für schlechten Geschmack und wird meist Low-End-Kaffees zugeschoben. Zu Unrecht. Chef-Diplom-Kaffeesommelier Thomas Eckel erklärt das so: „Natürlich schmeckt eine unreife Erdbeere sauer und nicht gut. Eine Erdbeere auf ihrem besten Reifepunkt hat jedoch ein ausgewogenes Spiel zwischen Süß und Sauer, und dann schmeckt sie am besten. Ist dieser Punkt überschritten, ist sie nur noch süß – zu süß, um gut zu schmecken. Genauso ist es auch bei Kaffee: ohne Säure schmeckt Kaffee langweilig.“ So ist bei einigen der weltbesten Kaffees ein ausgeprägtes Säureprofil der Star der Show, es macht Kaffee lebendig und interessant.
Säure schlägt dabei immer eine eigene geschmackliche Richtung ein. Deshalb kann sie wie ein Verstärker von ähnlichen Geschmacksrichtungen wirken. Zitronige Säuren können die im Kaffee angelegten Aromen von Zitrusfrüchten betonen. Säuren können sich auch völlig unterscheiden von Aroma und Geschmack des Kaffees. Ein Säureprofil mit Noten von Orange, Grapefruit oder Melone kann ein interessanter Gegenspieler werden zum schokoladigen, würzigen oder nussigen Geschmack eines Kaffees.
Säure separat vom Geschmack zu erfassen ist eine Herausforderung. Eine Möglichkeit, um den Sinn dafür zu sensibilisieren: verkoste unterschiedliche Obstsorten und konzentriere dich nicht auf deren Geschmack, sondern auf ihre Säuren. Bei Obst ist es einfacher als bei Kaffee, mit der Zeit wird deine Zunge so trainiert sein, dass du die Unterschiede auch bei Kaffee wahrnehmen kannst.
Balance
Ein ausbalancierter Kaffee kann ein komplexes Geschmacks- und Aromenspiel haben, er hat jedoch keine Aromen oder Geschmacksrichtungen, die andere überlagern. Ein gut ausbalancierter Kaffee hat geschmackliche Noten, die alle gleichermaßen wahrzunehmen sind. Balance betrifft auch das Zusammenspiel von Süße und Säure, um den Geschmack von Kaffee zu unterstützen. So kann ein Kaffee auch nur mit dem Aroma oder der geschmacklichen Note von Blaubeeren glänzen: wenn eine Balance zwischen Süße und Säure herrscht und den Geschmack unterstreichen, können auch solche Kaffees viele Punkte erreichen.
Mouthfeel & Body oder Mundgefühl & Körper
Mit diesen Begriffen wird beschrieben, wie sich Kaffee im Mund anfühlt. Was wir fühlen, wenn wir in frisches Brot, gebrannte Mandeln oder einen Apfel beißen, ist einfach zu erfassen und wir haben mehr Vokalen für diese Unterschiede dafür: weich, zäh, glitschig, knusprig… Kaffee jedoch ist eine Flüssigkeit und schwieriger zu umschreiben. Und doch fühlt sich nicht alles Flüssige gleich an. Cupper erschließen hier also sämtliche Bedeutungsebenen von „flüssig“. Deshalb können Sie auf Kaffeebeschreibungen Wörter lesen wie cremig, samtig, rund, sahnig oder teeähnlich.
Wie der Körper eines Kaffees beschaffen ist, hat eine große Wirkung auf das, was wir wahrnehmen. Kaffees mit rundem, samtigem oder cremigem Körper bleiben länger auf der Zunge, sodass wir mehr Zeit haben, ihn zu erfassen, so wie Milch länger auf der Zunge bleibt als Wasser. Der Körper ist also ein entscheidender Faktor: ein Kaffee mag außergewöhnliche Aromen haben und ein gutes Zusammenspiel von Süße und Säure – wenn der Körper nicht stimmt, kann der Kaffee seinen Geschmack nicht transportieren.
Was nun den Körper ausmacht, bestimmt die Extraktion, der Prozess, wenn heißes Wasser auf Kaffee trifft. Aromen sind wasserlöslich. Für den Körper entscheidend sind Bestandteile wie Proteinmoleküle und Kaffeeöle. Es sind kleinste Partikel, die sich nicht auflösen und somit den Körper eines Kaffees griffiger machen.
Aftertaste oder Nachgeschmack
Das kennt man von Lebensmitteln mit starkem Eigengeschmack. Den Geschmack von rohen Zwiebeln z.B. trägt man länger auf der Zunge als den von Nudeln. Dabei ist nicht jeder Nachgeschmack gleich angenehm. So ist es auch bei Kaffee. Wenn ein Kaffee von Experten angebaut, aufbereitet, geröstet und zubereitet wurde, wird er mit einem langen und hocharomatischen Nachgeschmack glänzen. Ist der Nachgeschmack bitter oder sauer, gibt es wenig Punkte oder sogar Abzüge.
Defekte: von Taints und Faults
Auch wenn größte Sorgfalt waltet bei Ernte, Aufbereitung und Röstung: Fehlerquellen kann es immer geben. Die Art der Fehlerquelle und ihr Ausmaß kann sich unterschiedlich bei einer Verkostung manifestieren. Die SCA hat in ihrem Cupping Protokoll diese Fehler als Taints und Faults definiert: Taints sind Fehler, die man zwar schmeckt, jedoch nicht so stark sind, dass sie das geschmackliche Profil komplett überlagern. Sie werden mit zwei Punkten Abzug pro Tasse bewertet.
Faults sind Fehler, die so schwer wiegen, dass der ganze Kaffee danach schmeckt, z.B. sauer, vergoren, medizinisch, phenolisch… Dafür gibt es vier Punkte Abzug pro Tasse.
Eine Fehlerquelle kann zwar auftreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass der ganze Kaffee minderwertig ist. Um das auszuschließen, werden bei professionellen Cuppings nie nur eine Tasse, sondern immer mindestens fünf Tassen von einem Kaffee verkostet. Oft reicht nämlich eine einzige fehlerhafte Bohne, um eine Tasse von einem eigentlich guten Kaffee zu ruinieren.
Overall oder Gesamteindruck
Grundsätzlich ist ein Cupping eine wertneutrale Sache, bei der persönlichen Vorlieben außen vor bleiben müssen. Diese letzte Kategorie jedoch lässt Platz für eine individuelle Bewertung. Um Punkte zu vergeben, wiegt der Cupper sämtliche Kategorien miteinander auf. „Eine schlechte Tasse darf vier gute Tassen nicht wegwischen“, sagt Thomas Eckel, „ein guter langanhaltender Nachgeschmack oder ein angenehmes Mundgefühl können z.B. ein kornig schmeckendes Aroma ausgleichen.“
Diese Kategorie spiegelt deshalb die Expertise eines Cuppers im Vergleich von Spitzenkaffee. Wenn der verkostete Kaffee seine Erwartungen übertrifft, bestimmt durch Herkunftsland, Varietät, Aufbereitung etc., wird ein guter Cupper das anerkennen.
Dieses Abwägen offenbart auch, wie wichtig die einzelnen Kategorien für den jeweiligen Cupper sind. Für Q-Grader Thomas Eckel spielen die Kategorien Aroma und Balance die Hauptrolle, und er achtet darauf, wie groß die Unterschiede unter den einzelnen Tassen sind. Je ähnlicher die Tassen schmecken, umso mehr spricht das für gleichbleibende Qualität. Interessant dabei ist, dass professionell ausgebildete Cupper, v.a. Q-Grader, trotz dieser unterschiedlichen Gewichtung in ihren Bewertungen kaum voneinander abweichen. Das wiederum bedeutet, dass gut ausgebildete Cupper weltweit dieselbe Sprache sprechen mit ähnlichen Qualitätsvorstellungen als Basis – und dass du dem Urteil von gut ausgebildeten Cuppern vertrauen kannst.
HIer gehts zum Artikel: Specialty Coffee: Was den Edel-Kaffee von anderen unterscheidet