„Unter der Obhut der Kaffeefrauen von heute wächst eine andere und selbstbestimmte Generation heran.“
Im Gespräch mit Liliana Caicedo Schwarzbach, Präsidentin des deutschen Kapitels der International Women’s Coffee Alliance (IWCA), darüber, warum Kaffeefrauen z.T. immer noch nicht so ernst genommen werden, wie sie sich in Gemeinschaften Gehör verschaffen und warum Netzwerken gerade für Frauen so wichtig ist.
Über Liliana Caicedo Schwarzbach
Liliana wurde in Cali, Kolumbien geboren, seit etwa 20 Jahren lebt sie in Deutschland. Wie bei vielen Menschen im Kaffee-Business schreibt auch Lilianas Lebenslauf keine schnurgerade Kaffeegeschichte. Eigentlich ist sie Kriminologin. Das Thema Frauen in der Gesellschaft hat sie jedoch schon immer beschäftigt. Durch ihr juristisches Studium und v.a. ihre Abschlussarbeit – Thema: Frauenhandel in der internationalen Kriminalität – wirkte sie mit an vielen inter-/nationalen Projekten im Bereich Bildung und Nachhaltigkeit sowie an Entwicklungsprogrammen, gezielt für Frauen.
Über diese Arbeit ergab sich auch der Kontakt zur International Women’s Coffee Alliance (IWCA). Seit 2018 ist sie an Bord und gründete gleich als Präsidentin des deutschen Kapitels den Verein Internationale Frauenkaffeeallianz Deutsches Kapitel e.V. (IFKAD e.V.). Über sich selbst sagt Liliana, dass sie es liebt mitanzusehen, wenn Frauen sich bewusst werden, wie viel Schöpferkraft in ihnen steckt und beginnen, ihr Leben in selbstbestimmte Bahnen zu lenken.
Liliana, hier in Deutschland wird das Thema Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen engagiert diskutiert. Können Sie uns etwas darüber erzählen, wie es damit in Kaffeeländern aussieht?
Liliana: Debatten über diese Themen gibt es auch in Kaffeeländern, sie werden nur anders geführt, oder besser gesagt: sie haben andere Schwerpunkte. Diskussionen um etwas wie das Gendersternchen sind in den meisten Kaffeeländern zu abstrakt. Dort geht es eher um Gewalt gegenüber Frauen, ihre Freiheiten und ihre Rechte. Gerade auch Gewalt gegen Frauen auf Kaffeeplantagen ist ein Thema, da ist derzeit ein neues Projekt im Aufbau, das die UN Women zusammen mit der IWCA aufgreift. Da ist also noch viel zu tun. Das Gute ist: wir sehen, dass der Kaffeesektor die Gleichstellung von Frauen fördern kann und dass sich da etwas getan hat in den letzten Jahren. Das sind unsere persönlichen Beobachtungen, die aber auch bestätigt werden, u.a. durch eine groß angelegte sozioökonomische Studie* in Brasilien. Sie zeigt: der Anteil von Frauen im Kaffeesektor ist viel größer als gedacht, was übrigens nicht nur für Brasilien gilt. Die Studie stammt zwar noch von 2017, aber die Verschiebung zu Gunsten von Frauen setzt sich fort. Kaffee bietet Frauen eine Menge Möglichkeiten, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen und erfolgreich zu sein.
Gilt das auch noch in Corona-Zeiten? Studien** hielten fest, dass wir in Deutschland beim Thema Gleichberechtigung eine Rolle rückwärts gemacht haben, weil Frauen ihre Arbeitszeit v.a. wegen Kinderbetreuung deutlich stärker reduzierten als Männer und sich traditionelle Muster wieder stärker wieder durchsetzten…
Liliana: Corona bedeutet auch einen Rückschritt für Kaffeefrauen, v.a. in einer Familie, da gab es zu Deutschland kaum einen Unterschied. Die Frauen blieben zuhause, um die Kinder zu betreuen und den Haushalt zu übernehmen, und die Männer versuchten, den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern. Das war für viele Familien eine sehr schwierige Zeit, in einigen Ländern mussten Farmen komplett geschlossen werden, weil Regierungen das in ihren Corona-Maßnahmen beschlossen hatten. Das bedeutete z.T., dass einige Männer sich um neue Arbeit umsehen mussten bzw. Farmerfamilien mussten sich komplett neue Strategien überlegen, wie es weitergehen kann. Bei all dem gab es aber auch einen positiven Aspekt: als einige Männer zuhause bleiben mussten, war es oft so, dass sie in die Arbeiten zuhause reinwuchsen und die Frauen ihnen zeigten, wie es geht. Gleichzeitig spielte sich mehr digital ab, sodass sich Frauen, wo es möglich war, nun stärker damit auseinandersetzten. Das war sicher bestimmt nicht überall so, wir haben jedoch gesehen, dass sich in diesen Zeiten oft Chancen für beide Seiten aufgetan haben.
Trotzdem ist es noch so, dass Frauen als kaum relevant im Kaffeesektor betrachtet werden. Was, denken Sie, sind die Gründe für diese Fehlwahrnehmung?
Liliana: Also zum einen ist es leider so, dass Frauen deutlich seltener auftauchen in vertretenden und führenden Positionen wie z.B. in Forschung, Produktion, Marketing, Management. Das verschiebt die Wahrnehmung natürlich stark hin zu Männern. Hinzukommt, dass Frauen weniger Zugang zu Informations- und Arbeitstechnologie haben, das behindert den Weg zum Erfolg. Und dann ist es auch so, dass Frauen oft nicht so ernst genommen werden. Als Pflückerin, höchstens Farmerin: ja, als Geschäftsfrau: nein. Das schlägt sich auch nieder in schlechterer Bezahlung im Vergleich zu Männern und v.a. in ihrer Motivation nach mehr zu streben.
Weil sie resigniert sind?
Liliana: Aus meinen Erfahrungen würde ich eher sagen, dass Frauen bislang einfach weniger Interesse daran hatten, die Karriereleiter im Kaffeesektor hochzuklettern. Viele Frauen leiten Farmen, weil sie reingerutscht sind, etwa weil ihr Mann gestorben ist oder weil niemand anders da ist, der es macht. Viele machen einen richtig guten Job, sind sich dessen aber nicht bewusst und hängen das noch weniger an die große Glocke. Das hat auch was mit sozialen Konstrukten zu tun: traditionelle Erziehungsmuster, in denen Frauen sich eher bescheiden im Hintergrund halten, Frau bleibt zuhause und Mann macht Karriere etc. Genau das aber, so ein Wurf ins kalte Wasser, plötzlich eine Farm leiten zu müssen, hat sich für viele Frauen als das Beste herausgestellt, was ihnen passieren konnte. Sie blühen richtig auf, weil sie sich zum ersten Mal als richtige Geschäftsfrau erleben und das Potenzial entdecken, das sie immer in sich trugen, aber nie wahrgenommen haben. Das sind ganz wertvolle Selbsterfahrungen, die Frauen da machen. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Power Frauen entwickeln können, und ich lerne selbst ständig dazu. Ich glaube, das gilt auch für Frauen ganz generell.
Die IWCA möchte Kaffeefrauen auf ihrem Weg unterstützen. Im Juni 2021 hat sie dafür eine Absichtserklärung mit der bekannten Kaffee-Organisation Alliance for Cup of Excellence (ACE) und dem berühmten Kaffeewettbewerb Cup of Excellence (CoE) unterschrieben, die Frauen verhelfen soll, ein besseres Einkommen zu erzielen und ihre Kaffeekarriere voranzutreiben. Wie können wir uns das konkret vorstellen?
Liliana: Ja, eine spannende Frage! Diese Absichtserklärung ist noch recht jung, und wir sind in allen 28 Kapiteln der IWCA neugierig, was da noch kommt. Fest steht aber schon, dass es sensorische Schulungen geben wird und solche zu Qualitätsmanagement sowie Cupping-Trainings, und es sollen Projekte gestartet werden u.a. im Bereich Marketing, um die Wahrnehmung von ACE, IWCA und CoE bei ErzeugerInnen zu stärken. Ganz besonders werden künftig Frauen hervorgehoben und gezielt gefördert, die bei einem CoE gewonnen haben, auch um andere Frauen zu motivieren. Ein Gewinn bei einem CoE bedeutet neben sehr gutem Geld auch enorme Anerkennung, das ist ein Meilenstein in der Karriere von KaffeeherstellerInnen und ein Gefühl, das beflügelt. Für weitere Projekte läuft derzeit eine Analyse, was wo sinnvoll ist.
Die IWCA hat sich auf die Fahnen geschrieben, ihre Mission – Frauen im Kaffeesektor zu unterstützen – unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit umzusetzen. Können Sie uns dazu etwas Konkretes erzählen?
Liliana: Jedes Kapitel setzt individuelle Schwerpunkte je nach Land. Es gibt bereits viele tolle Erfolgsgeschichten, als Beispiel möchte ich Vietnam anführen, um zu zeigen, wie vielschichtig die Herausforderungen sind. 70% der Kaffeearbeit dort wird von Frauen gestemmt, die jedoch deutlich schlechter bezahlt werden als Männer. Am härtesten trifft es Farmerinnen, die meistens haupterwerblich Bäuerinnen sind und oft alleinerziehend und auf Unterhalt angewiesen durch das Leben gehen. Es fehlt ihnen v.a. an Wissen, wie sie ihren Kaffee qualitativ besser machen können für bessere Preise, sie haben kaum Zugang zum Markt, weil sie nicht organisiert sind in einer Vereinigung.
Dazu kommen fehlende Sprachkenntnisse – viele gehören isolierten ethnischen Minderheiten an, was an sich schon Herausforderungen mit sich bringt – sie können kaum reinvestieren, weil sie das wenige Geld zum Leben brauchen, und die wenigsten trinken ihren Kaffee, sodass sie die Qualität ihres Kaffees gar nicht beurteilen und herausfinden können, wie sie sie verbessern können. Die IWCA Vietnam hat nun genau an diesen Stellen geschraubt. Zusammen mit Experten hat sie den Frauen in kaffeespezifischen Ausbildungen und Trainings ein Gefühl für Qualität vermittelt und ermittelt, welche Varietäten gut zum Boden passen und wie die Frauen den besten Ertrag bei nachhaltigem Anbau erwirtschaften. Der größte Erfolg ist jedoch die Gründung der Kooperative Dao Chieng Ban, in der die Frauen eine Stelle haben, die ihren mittlerweile zur Specialty Coffee Nische zählenden Kaffees zu guten Preisen und transparent vermarktet.
Auch die IFKAD möchte Kaffeefrauen fördern. Sie sitzen aber nicht direkt in den Kaffeeländern. Was können Sie von Deutschland aus bewirken?
Liliana: In Deutschland – wir sind übrigens das einzige Kapitel in ganz Europa – beschäftigen wir uns v.a. damit, Konsumenten sensibel zu machen für die Herausforderungen, denen sich KaffeeherstellerInnen zu stellen haben, besonders angesichts des Klimawandels. Wir netzwerken stark mit Bildungspartnern v.a. im Bereich Nachhaltigkeitstechnologie und Innovation, z.B. mit der Universität Geisenheim. Ein Projekt unter Leitung von Prof. Bernd Lindemann vom Institut für Getränketechnologie verbindet Kaffeeröster, bildet Studenten aus für den Einstieg in die Kaffeeindustrie und startet eine Studie, um die Zusammenarbeit mit den Ländern der anderen Kapitel zu erweitern. Dieses Netzwerken steht bei mir ganz vorne, gerade auch, um kulturelle Brücken zu bauen.
Welchen Rat haben Sie persönlich für alle Frauen, die in das Kaffee-Business einsteigen wollen?
Liliana: Viel zu wissen, öffnet viele Türen. Und: netzwerken! Eine Frau, die eine Farm leitet, braucht natürlich anderes Knowhow als eine, die eine Rösterei oder ein Café aufmachen will. Sich weiterzubilden ist aber für beide extrem wichtig, damit sie vorbereitet sind auf alle Herausforderungen. Das geht am besten in einer Community, in der man sich austauscht, voneinander profitiert und v.a.: füreinander da ist. Sie haben nicht nur fachlich immer mehr drauf, diese Frauen explodieren vor Enthusiasmus für ihr Produkt, ihre Arbeit und ihre Gemeinschaft, in der sie plötzlich eine Stimme haben, die etwas wert ist und gehört wird.
Das spornt natürlich an…
Liliana: Ja, und wie! Solche Gemeinschaften treiben zu Höchstleistungen an, und das nicht weil Druck herrscht, sondern weil alle so hochmotiviert sind. Es ist so großartig mitanzusehen, wie Frauen zusammenhalten, sich gegenseitig unterstützen und so über sich hinauswachsen! Ich habe erlebt, dass Frauen enorm Vertrauen in ihre Fähigkeiten entwickeln, immer mehr denken auch daran, führende Positionen anzustreben. Das leben sie natürlich auch ihren Kindern vor. Kaffeefrauen, ob Barista, Kaffeemanagerin, besonders aber Farmerinnen, zeigen ihren Kindern heute: guter und nachhaltiger Kaffee kann wieder eine attraktive und existenzsichernde Möglichkeit sein. Unter der Obhut der Kaffeefrauen von heute wächst eine ganz andere und selbstbestimmte Generation heran.
**https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-corona-und-gleichstellung-31078.htm
Fotos: © IFKAD, Pacha Mama