Kaffeehändler Walter Knauer über sein Lebensprojekt “Pacha Mama”
Zu Kaffee griff er früher nur selten. Heute ist Kaffee einer von Walter Knauers Lebensinhalten. Für ihn zählt der Gedanke von nachhaltigem Kaffeehandel mit den Menschen dahinter im Blick. Im Interview erzählt er uns, warum Geld nicht alles ist, warum er seinen Kaffee nicht jedem verkauft und warum auf manchen Farmen die Selbstverständlichkeit von Toiletten-Türen keine ist.
Siemens war früher dein Arbeitsplatz – seit einigen Jahren machst du in Kaffee. Und das obwohl du Kaffee zu diesem Zeitpunkt gar nicht mal mochtest. Warum hast du dich für diesen Szenenwechsel entschieden?
Walter Knauer: Michael Scherff, mein ehemaliger Arbeitskollege, Freund und Geschäftspartner, und ich sind vor Jahren in Frührente gegangen. Nichts zu tun war aber keine Option. Zeit ist ein Geschenk, wir wollten etwas Sinnvolles damit tun und unsere Erfahrungen einbringen. Michael erzählte mir von Peru, seine Frau Mari kommt von dort. Die Cafetaleros in ihrem Dorf waren nahezu pleite gegangen. Wir wollten helfen, das Projekt PachaMama war geboren.
Das klingt ein bisschen nach den Aussteigergeschichten, bei denen Leute nach der Tretmühle des Arbeitslebens was Sinnvolleres gefunden haben. Macht Kaffee Sinn für dich?
Walter Knauer: Es ging für uns immer darum, den Leuten zu helfen und ihr Leben durch Spitzenkaffee besser zu machen. Das hat sich für alle 50 Cafetaleros, mit denen wir angefangen haben, bewahrheitet. Von anfangs acht haben sie sich auf aktuell 50 Tonnen Kaffee gesteigert. Helfen ist etwas Sinnvolles, und Sinn im Leben verschafft große Zufriedenheit. Kaffee macht so also durchaus Sinn für mich. Außerdem habe ich eine Menge dazu gelernt, fachlich v.a. aber menschlich.
Was genau ist passiert, dass die Menschen in diese Notlage gerieten?
Walter Knauer: Betriebswirtschaftliche Unkenntnis bzw. Managementfehler in der riesigen Kooperative, bei der sie waren, und der gefürchtete Kaffeerost, die die Ernte zwei Jahre bis zu 50 % dezimierte, waren die Knackpunkte. Die Bauern waren hoch verschuldet und hatten bei 30% Zinsen kaum eine Chance da raus zu kommen.
Pacha Mama war also die Rettung für die Bauern?
Walter Knauer: Die rund 50 Bauern brachten den Mut von selbst auf, mit uns die Asociacion de Agricultores Grano de Oro Miguel Grau zu gründen. Michael unterstützte sie dabei vor Ort und kümmerte sich z.B. um die Einrichtung von Bankkonten, um Grundbuchtitel und Exportlizenzen. In der Kooperative hatten sie sich um solche Dinge nie kümmern müssen. Und sie haben keine Ahnung von umsichtiger Geldwirtschaft. Mit uns haben sie gelernt, dass es langfristig klüger ist zu investieren, sodass am Ende mehr rauskommt. Und wir haben klar gesagt: nur guter Kaffee bringt gutes Geld, dafür bezahlen wir gerne deutlich mehr als den Weltmarktpreis, von dem wir uns abkoppeln.
Zwei Deutsche stellen sich vor 50 peruanische Bauern und erklären ihnen, wie Kaffee geht… Wie schwierig war es, sie zu überzeugen?
Walter Knauer: Gar nicht so schwierig. Mit 50 Bauern ist es noch überschaubar, um Grundprinzipien zu besprechen. Die Botschaft ist klar: Guter Kaffee bringt gutes Geld. Es ist nur eine andere Kultur und eine andere Sozialisierung, da braucht es erst mal ein bisschen Zeit auf beiden Seiten, z.B. mit Liefertreue und Zuverlässigkeit. Die Deutschen haben Uhren, Peruaner haben Zeit.
Geld also war der Motivator?
Walter Knauer: Es hilft schon mal der höhere Preis, um die Not zu lindern. Unser „Vertrag“ beruht auf dem Handelsmodell Direct Trade. Dabei schalten wir viele Handelsstufen aus und können den Bauern direkt und mehr bezahlen. Mehr als den Börsen- und den Fair Trade-Preis, das sind bis zu 30 und 40% mehr. Aber nur das Geld zu nennen, ist deutlich zu kurzgefasst. Außerdem ist den Leuten nur mit mehr Geld nicht geholfen. Menschen fangen nur dann Feuer, wenn sie von etwas überzeugt sind und dabei unterstützt werden. Mit unserem Direct Trade ist genau das passiert.
Wie kann ein Handelsmodell Herzen entflammen?
Walter Knauer: Wir überlassen die Leute nicht sich selbst. Das geht nur mit Vertrauen und Unterstützung. Wir haben ein Bündel von Maßnahmen geschnürt. Dazu gehören Schulungen, Coachings, Kontrollen, Finanzierung, Förderprojekte usw. Wenn Michael und ich das nicht mehr machen, sollen die Bauern auf eigenen Beinen stehen können. Die Zukunft der Cafetaleros zu sichern ist unser Ziel, genau das bedeutet für uns Nachhaltigkeit. Michael als der Mann vor Ort ist eine große Hilfe. Wir kennen die Bauern persönlich und wir haben ein Ohr für ihre Sorgen. Kurz: wir sehen sie als Menschen, nicht als neutrale Vertragspartner. All das spüren und wertschätzen sie, so etwas motiviert.
Direct Trade ist kein eingetragenes Markenzeichen mit festen Spielregeln. Was bedeutet Direct Trade für Pacha Mama?
Walter Knauer: Einige verstehen unter „Direct Trade“, sich den Rohstoff Kaffee frühzeitig direkt bei den Kaffeebauern zu sichern. Auf der Strecke bleiben dabei leider zu oft die Qualität des Kaffees und der Lebensunterhalt der Bauern. Pacha Mama hingegen bezahlt direkt, deutlich mehr und leistungsgerecht. So tragen wir zu einem besseren Lebensstandard bei. PachaMama-Kaffee kommt zudem auf dem kürzesten und transparentesten Handelsweg soz. „direkt vom Bauernhof“. Direct Trade bedeutet für uns mehr als nur Handel, es bedeutet eine langfristige vertrauensvolle Partnerschaft.
Das klingt nach bereichernden Begegnungen. Gibt es welche, die dir in Erinnerung bleiben?
Walter Knauer: Da gibt es einige. Nach dem Anschlag in Nizza z.B. diskutierte der Lehrer der Dorfschule, die wir unterstützen, mit den Kindern darüber. Er erzählte mir dann stolz, dass die Kinder über etwas gesprochen haben, das im fernen Europa passiert ist. Der Horizont der Leute öffnet sich, das ist schön zu sehen. Berührt hat mich auch die Geschichte einer jungen Frau, die nach Lima ging und 1.000 $ – alles was sie hatte – für eine Art Q-Grader-Ausbildung bezahlt hat. Ihre Großmutter passt auf ihr Kind auf, damit sie ihren Weg machen kann – mit Kaffee. Die Menschen sehen wieder Zukunft im Kaffee. Es ist schön zu sehen, dass wir da etwas bewirken.
Neben dem Menschlichen muss auch die Qualität stimmen. Wie geht ihr da vor?
Walter Knauer: Qualität ist kein Zufall sondern messbar. Natürlich ist Kaffee ein Naturprodukt, das gewisse Abhängigkeiten vom Wetter hat, aber wir können aufklären, messen und unterstützen. Wir haben ein Team aufgebaut, das sich um die Qualitätssicherung kümmert. Mit den Bauern wird erarbeitet, welche Ernte gut war, welche nicht, woran es gelegen hat, wie, wann und womit man ihn düngt – natürlich nur ökologisch – , wie man ihn aufbereitet etc. Die Herangehensweise, Kaffee im Labor zu analysieren und alles in einem Handbuch niederzuschreiben, war für die Bauern gewöhnungsbedürftig. Sie erkannten aber schnell den Nutzen. Am schönsten ist es, wenn die Bauern stolz sind, weil ihnen eine Ernte wieder etwas besser gelungen ist. Sie sehen ihren Erfolg und bleiben an ihrer Sache dran.
Du hast einmal gesagt, dass du euren Kaffee nicht an jeden verkaufst. Welchen Hintergrund hat das?
Walter Knauer: Ein gutes Produkt ist eine Geisteshaltung. Wenn jemand Kaffee möchte mit dem Label „fair produziert“ und dabei unseren Kaffee benutzen will, um gut dazustehen, jedoch selbst nicht überzeugt dahintersteht, der passt nicht zu uns. Diese Leute werfen auch gerne mit Siegeln um sich, um zu zeigen, wie fair und bio ihr Kaffee ist. Siegel sagen für mich aber nichts aus über Qualitäten und darüber, wie es den Menschen hinter dem Kaffee geht. Nur wer das versteht, hat unser Konzept von Direct Trade verstanden und kann unser Partner sein.
Vielleicht ist das so, weil Kaffee zu weit weg wächst… Glaubst du, dass diese räumliche Entfernung in den Köpfen eine Rolle spielt?
Walter Knauer: Uns in Deutschland geht es so gut, den meisten ist gar nicht klar, wie gut. Die Cafetaleros sind 11.000 km entfernt, zu weit weg, als dass wir vor Augen hätten, wie karg ihr Leben dort ist. Ein Beispiel: in der Dorfschule haben wir mit Unterstützung eurer Murnauer Kaffeerösterei Toiletten in Kindergröße eingerichtet. Darüber haben sich die Kinder gefreut, weil sie nun nicht mehr in die großen Toiletten rutschen. Dazu gab es auch noch Türen… Keine Selbstverständlichkeit.
Du hast von deinem Rückzug aus Pacha Mama gesprochen. Denkst du schon konkret darüber nach? Was muss dein Nachfolger mitbringen?
Walter Knauer: Natürlich denke ich darüber nach, das gehört zu nachhaltigem Denken. So ein Projekt kann man nicht von heute auf morgen abgeben. Wer Pacha Mama weiterführen will, darf es nicht in erster Linie als Geschäft sehen. Nur wer Leidenschaft für Kaffee mitbringt, für die faire, nachhaltige Sache und wer empathisch ist, ist geeignet. Michael hat schon einen geeigneten Nachfolger gefunden. Ich versuche, den Vertrieb in Deutschland auf breitere Beine stellen – und auch jemanden mit Leidenschaft zu finden.
Fotos: © Pacha Mama