Alexa Heinicke gehört zu jenen, die am nächsten am Puls der Kaffee-Zeit sitzen und genau wissen, was sich in der Kaffeewelt bewegt und bewegen wird. Sie ist bei World Coffee Research (WCR) Beraterin für Nachhaltigkeit in der Kaffeeindustrie und Bindeglied zwischen Kaffeeforschung und Industrie. Mit ihr haben wir in die Glaskugel geblickt und darüber gesprochen, wie sich die Kaffeewelt verändern wird, warum wir bald nicht mehr den Kaffee trinken, den wir jetzt kennen und wieso die Forschung dabei eine essenzielle Rolle spielt.
Der Weltklimarat gab bereits 2019 bekannt, dass ein Viertel der Landfläche der Erde beschädigt ist. Dazu schätzen Forscher, dass sich die derzeitige weltweite Jahresproduktion von 9,5 Mrd. kg Kaffee bis 2050 wegen des steigenden Bedarfs verdreifachen* könnte. Das klingt wie eine Rechnung, die nicht aufgehen kann. Schlittern wir da in etwas hinein, für das es nur begrenzt Lösungen gibt?
Alexa: Ja, das sind die Fakten, und es ist dringend nötig zu reagieren. WCR widmet sich dieser Herausforderung schon sehr lange, und wir stützen uns dabei stark auf Erkenntnisse unseres Forschungsteams. Es gibt nämlich Lösungen, die die Forschung bieten kann. Klar ist aber auch: die Kaffee-Forschung kann sie nur anbieten, es ist an den Herstellern und der Kaffeeindustrie, sie umzusetzen durch Investitionen und Partnerschaft. Dieser Herausforderung zu begegnen, kann also nur in einer gemeinschaftlichen nachhaltigen Anstrengung gelingen.
Welche Lösungen schlägt die WCR-Forschung aktuell vor?
Alexa: Der wichtigste Baustein besteht darin, neue Varietäten zu finden, die dem Klimawandel standhalten und nachhaltigen Anbau ermöglichen. Das ist essenziell, denn unserer Kenntnis nach kann das Problem Mehr Kaffee auf weniger Land anbauen nur so gelöst werden: eine Kombination von besseren Varietäten und effektiveren und nachhaltigen Anbaumethoden. WCR fokussiert sich auf das erste, weil die meisten Kaffeebäume auf den Feldern der Landwirte für 30 oder 40 Jahre gepflanzt werden.
Es gibt Ideen, empfindliche Arabica-Varietäten mit widerstandsfähigeren von Liberica- und Robusta-Pflanzen zu kreuzen. Ist das auch die Richtung der WCR-Forschung?
Alexa: Liberica und Robusta sind andere Kaffeesorten als Arabica, die großes Potenzial für die Kaffee-Forschung bieten. Es ist noch ein weiter Weg, bis ihr Geschmack ein gewisses Niveau erreicht hat. Diese beiden Kaffeesorten sind jedoch vielversprechend, weil sie robuster und nicht so pflegeintensiv sind, und die Wurzelstöcke teilweise deutlich tiefer wachsen, was ein Vorteil ist in Dürrezeiten. Wir untersuchen derzeit z.B. Kreuzungen mit Liberica aus Indien. Dort wachsen Liberica-Stöcke, die sich als besonders robust erwiesen haben gegen eine bestimmte Art von Kaffeerost, die in Indien oft vorkommt. Auch Kreuzungen mit Robusta sind möglich. Es gibt aber nahezu viele Möglichkeiten, ganz unterschiedliche Arabica-Varietäten miteinander zu kreuzen, davon versprechen wir uns mehr.
Aus welchem Grund? Was erwartet uns da in naher Zukunft?
Alexa: Der Kaffeegaumen kennt Arabica, insbesondere Specialty Kaffeetrinker aus Europa und Nordamerika, nicht umsonst stemmt diese Kaffeesorte über 60% des weltweiten Marktanteils. Die Farmen müssen Pflanzen der Nachfrage entsprechend anbauen, davon hängen Einkommen und Existenzen ab. Es gibt jetzt neue Arabica-Sorten in der Pipeline. Wenn man die besten Eigenschaften zweier ganz verschiedener Arabica-Eltern vereint, entsteht ein sehr starkes Arabica-Baby.
Wie lange dauert es, gute Varietäten zu finden?
Alexa: Kaffee ist eine Baumpflanze, was bedeutet, dass die Fristen länger sind als bei anderen Kulturpflanzen, die sich in jährlichen Zyklen vermehren. Je nach Züchtungsansatz kann es zwischen 15 und 30 Jahren dauern, bis eine neue Kaffeesorte entwickelt ist.
„Die Kaffee-Forschung ist essenziell für die Zukunft von Kaffee”
Die Wörter Kreuzungen und Züchtungen lösen bei manchen ein ungutes Gefühl aus. Erklären Sie uns bitte kurz die genetische Forschungsarbeit von WCR.
Alexa: WCR lehnt in der Kaffee-Forschung genetische Veränderungen strikt ab. Bei der neuen molekularen Züchtung-Methode muss die Genetik der Pflanze in keiner Weise manipuliert werden. Stattdessen schauen die Forscher in die Genetik einer Pflanze, um Gene oder Marker zu finden, die mit wichtigen Merkmalen in Verbindung stehen. So können sie auswählen, welche Pflanzen bei neuen Kreuzungen mit anderen sinnvollerweise kombiniert werden sollen.
Anstatt Tausende von Pflanzen auf einem Feld zu anzubauen und zu prüfen, welche davon am besten gedeihen – es dauert fünf bis sieben Jahre, bis ein Kaffeebaum reif ist -, können die Züchter Jungpflanzen nehmen, ihren genetischen Fingerabdruck anschauen, die mit geeigneten Markern auf das Feld verpflanzen und andere aussortieren. Das ist eine enorme Zeit-, Kosten- und Ressourcenersparnis.
Warum kommt diese Forschung erst jetzt? Gerade wenn diese Prozesse so zeitintensiv sind…
Alexa: Sie kommt nicht erst jetzt. Nahezu jedes Kaffeeland hat ein Kaffeeinstitut. Die meisten waren aber viel zu lange unterbesetzt und -ausgestattet. Nur Brasilien, Kolumbien und Vietnam haben erhebliche Fortschritte in der Forschung gemacht. Wir müssen anderen helfen. Vor allem die Kaffeeindustrie hat erkannt, dass die Zukunft von Kaffee nur mit Erkenntnissen aus der Kaffee-Forschung gesichert werden kann.
Der Investitionsstau muss jetzt nachgeholt werden. Dies geschieht jetzt auch, vor allem weil immer mehr Kaffeeunternehmen World Coffee Research unterstützen. Wir wiederum gehen Partnerschaften mit nationalen Kaffeeinstituten ein, um deren Forschungsbemühungen zu fördern.
Forschung ist das eine, Praxis das andere. Wie bringen Sie Ihre Erkenntnisse direkt auf die Farm? Und wie gut werden sie dort angenommen?
Alexa: Die Forschung ist den Betrieben naturgemäß weit voraus. Wir haben unsere Erkenntnisse verständlich zusammengefasst und an Landwirte, Kooperativen und Kaffeegärtnereien weitergegeben. Dazu gehören ein Katalog mit Arabica-Sorten, Schulungshandbücher für Gärtnereien und in mehrere Sprachen übersetzte Schulungsvideos.
Man darf nicht vergessen: über 80% der Farmen sind kleine bis kleinste Betriebe. Den Herstellern fehlt entsprechend oft der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten zum Thema Kaffee. Einige sind dankbar für unsere Erkenntnisse und setzen sie um, weil sie wissen: es kommt ihnen zu Gute. Unsere Erfahrung hat gezeigt: auch wenn es erst nicht alle sind, die mitmachen, folgt die Motivation bald auch bei anderen, wie wir es einmal in Ruanda erlebt haben. Eine Handvoll Bauern probierte eine neue Varietät, die dort richtig gut performte. Als die anderen Bauern das gesehen haben, wollten sie dabei sein.
Solche Effekte gibt es alleine, weil die neue Varietät erfolgreich ist?
Alexa: Nicht jede Pflanze funktioniert gleich gut auf jeder Farm. Einschlagende und nachhaltige Erfolge gelingen nur, wenn das Terroir der Farm zur Pflanze passt, also Bodenbeschaffenheit, Höhenlage, Regen- und Sonnenzeiten etc. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, müssen die Landwirte die richtige Sorte für die richtigen Bedingungen anbauen. Das bedeutet, dass die Landwirte sowohl Informationen als auch Zugang zu hochwertigem Saatgut und Pflanzen benötigen. In Uganda beispielsweise zeigte eine Studie, dass Landwirte, die die richtige Sorte anpflanzten, ein um 250% höheres Einkommen erzielten**, weil diese widerstandsfähiger gegen Krankheiten war.
Bedeutet das, dass Farmen die Kaffeestöcke irgendwann komplett austauschen müssen?
Alexa: Das müssen sie sowieso nach 30 oder 40 Jahren tun, vielleicht auch früher, denn ein Kaffeestrauch wirft nicht auf ewig gleich gut Ernte ab, das ist wie bei Apfelbäumen etc. Entscheidend ist, dass die Farmen nicht nach dem Schema vorgehen, etwa wie: die Blätter der Pflanze sehen gut aus, ich glaube, die könnte was werden. Wenn man den genetischen Fingerabdruck nicht kennt, geht Potenzial verloren, gerade auch weil der Anteil der kleinen Betriebe am Weltmarkt mit den genannten 80% so groß ist.
Welche Länder sind für Sie am vielversprechendsten für die weitere WCR-Kaffee-Forschung?
Alexa: Wir konzentrieren unsere Arbeit auf elf Länder, in denen zusammen 50% der Kaffeebauern der Welt arbeiten und 30% des weltweiten Kaffees produziert werden. Diese Länder zusammengenommen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass Röster und Verbraucher weiterhin Zugang zu einer breiten Palette von Kaffeesorten haben. Wir haben auch Standorte an Orten, die z. B. für den Klimawandel relevant sind.
Da sich Farmen einstellen müssen auf Dürrezeiten und auf extreme Wetterumschwünge, schauen wir in Länder, die damit schon stärker konfrontiert sind. Im Zambia z.B. ist es sehr heiß, so könnte es in der Zukunft auch in weiteren Kaffeeländern sein. Da schauen wir, welche Varietäten dort gut zurechtkommen und gleichzeitig noch gute Ernten bringen.
Wie genau sieht es aus, wenn WCR analysiert, welche Varietät in welchem Land am besten wird?
Alexa: Dafür haben wir unsere Trials. Wir stellen ein Set zusammen von 31 der besten existierenden Varietäten und verschicken sie an 17 Länder, in denen sie angebaut werden. Über fünf Jahre hinweg werden mehrere Daten an uns zurückgeschickt zur Analyse. Zum einen checken wir Kriterien wie: als wie resistent gegenüber Krankheiten und klimatischen Herausforderungen haben sich die Varietäten erweisen, wie war der Ernteertrag, kann man vielleicht sogar zwei Mal ernten und wie schmeckt der Kaffee.
Im Moment sind wir etwas aufgeregt, weil dieses Frühjahr eine Fünf-Jahres-Frist zu Ende geht, es wird bald interessante Ergebnisse und Analyse geben. Dies wird den Ländern bei der Entscheidung über die Freigabe neuer Sorten für ihre Landwirte helfen. Ich bin sicher, wir werden noch viele neue und spannende Kaffees sehen.
Fotos: © World Coffee Research
* https://rgs-ibg.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/geo2.96
** https://www.wipo.int/edocs/pubdocs/en/wipo_pub_econstat_wp_42.pdf