John Arild Stubberud ist ein bunter Hund in der Kaffeewelt. Es gibt kaum einen Kaffee-Wettbewerb, bei dem er noch nicht dabei war, entweder als Teilnehmer oder, wie meistens, als Juror. Vor allem aber ist er bekannt für seine wissenschaftliche Herangehensweise. Daher nennt er sich selbst und viele andere Kaffee-Alchemist. Wir haben mit John gesprochen über die alchemistische Formel für guten Kaffee, über seine Allergie gegen eloquente Kaffeebeschreibungen und warum skandinavische Kaffeehäuser einen Besuch wert sind.
John, dein Café in Salzburg heißt „Kaffee Alchemie“, du selbst bezeichnest dich als „Kaffee-Alchemisten“. Mit diesem Namen verbindet man eine hohe, eine wissenschaftliche Erwartung. Warum nennst du dich so?
John: Wir stolperten über den Begriff „Alchemie“, als wir uns Gedanken machten, welches Konzept wir in Café und Shop umsetzen wollten. Ich stieß dabei auf den „Gold Cup Standard“, eine Richtlinie, die etwas darüber aussagt, wieviel vom Kaffee tatsächlich in der Tasse extrahiert ist. Dazu kam uns die Vokabel „Gold“ in den Sinn, oft verwendet im Kaffee-Marketing, und Kaffee selbst wird auch als „schwarzes Gold“ bezeichnet. Das alles geht schon in eine alchemistische Richtung und passte zusammen für mich mit der Vorstellung vom Alchemisten aus früheren Tagen, der etwas Gewöhnliches verwandelt in etwas von bedeutend größerem Wert: die berühmte Suche nach dem Stein der Weisen, wie man Gold erschaffen kann. Diese Idee passte perfekt zu unserem Anspruch, den besten Kaffee der Welt zu machen.
Hast du in deinem alchemistischen Anspruch die Formel für guten Kaffee gefunden?
John: Im Grunde: ja. Um eine wirklich gute Tasse Kaffee zu bekommen, ist es das Zusammenspiel von drei Dingen. 1. der Rohkaffee muss von hoher Qualität sein, es muss „Specialty Coffee“ sein. 2. er muss perfekt geröstet sein und 3. er muss auf die bestmögliche Art extrahiert werden.
Um eine solche Expertise zu bekommen, muss man jahrelang die Materie ergründen. Was gefällt dir am meisten daran, so in die Tiefe von Kaffee zu blicken? Gibt es noch Überraschungen für dich?
John: Überraschungen gibt es immer, gerade das gefällt mir so sehr! Jede neue Ernte von Kaffeeherstellern, die wir seit langem kennen, bringt Jahr für Jahr eine neue Überraschung. Dazu kommen neue Varietäten, neue Aufbereitungsmethoden, da bekommen wir jeden Monat Neues auf den Tisch. Das ist aufregend für uns.
Wenn du eine Tasse Kaffee trinkst: wer in dir hat das Wort? Der Kaffee-Alchemist oder der Genießer?
John: Ich versuche immer als erstes zu genießen. Der Alchemist in mir ist aber auch da, und der meldet sich natürlich zu Wort. Er will die Tasse cuppen und ihren Geschmack und Charakter ergründen. Da kann ich wohl nicht ganz aus meiner Haut.
Du bist überall auf der Welt als Juror tätig. Welchen Wettbewerb findest du am spannendsten oder wichtigsten?
John: Für mich ist das der „Brewers Cup“. Da stellen die Baristas ihre sensorischen Fähigkeiten unter Beweis, also ihren Sinn für die aromatische Beschaffenheit der Bohne, zeigen ihr handwerkliches Können und – das gehört auch dazu – liefern Service. Es macht Spaß, Kaffee aufzubrühen und Leuten, die Kaffee lieben, etwas wirklich Gutes zuzubereiten, denn genauso erreicht man die Menschen.
Du erreichst Menschen nicht nur als Barista in deinem Café in Salzburg, sondern auch als Trainer. Was gibst du deinen „Zöglingen“ auf den Weg mit? Und was den Menschen, die dein Café besuchen?
John: Denen, die meine Kurse besuchen, möchte ich helfen, Vertrauen zu fassen in ihre sensorischen Fähigkeiten, also Kaffee geschmacklich zu erfassen. Ich sage ihnen, dass sie den Unsinn, den es dazu gibt, auf die Seite schieben können, um dann selbst herauszufinden, was wirklich in der Tasse steckt. Genau in dieser Sprache, die sie dazu finden, sollten sie dann auch mit Konsumenten sprechen. Kaffee ist wirklich komplex, aber es gibt viel zu viel Geschwätz und erfundene Beschreibungen dazu.
Professionelle Cupper schmecken Aromen wie Schokolade, Karamell oder Zitrone im Kaffee mühelos, ungeübte Zungen tun sich da schwerer, ihnen bleibt oft nur die Feststellung, dass Kaffee aus Zimbabwe anders schmeckt als aus Indien. Sollten Cupper die Aromen also besser verschweigen?
John: Das meine ich nicht damit. Es geht darum, eine klare Sprache zu verwenden, spezifisch wenn möglich, aber nicht zu poetisch, reißerisch oder exklusiv. Der Konsument wird dir nicht glauben, wenn du Geschmacksrichtungen beschreibst, die er selbst nicht entdecken kann, vor allem nicht, wenn das übertrieben ist. Für mich geht es letztlich auch darum: ich wünsche mir für alle, die Kaffee trinken, nicht, dass sie perfekte Cupper sind, die eine Bohne sensorisch vollkommen erfassen können, sondern dass sie den Unterschied zwischen Massenprodukt und Specialty Coffee nachvollziehen können und eine Idee davon bekommen, dass Kaffee zuhause nur gut werden kann, wenn man ihn achtsam zubereitet.
In diesem Punkt müssen gerade Baristas immer am Ball sein, denn wir entdecken Kaffee immer differenzierter: verschiedene Zubereitungsmethoden, Aufbereitungen, Aromenprofile. Was kommt da noch? Worauf dürfen / müssen sich Baristas einstellen?
John: In einer Entwicklung stecken wir bereits. Wir sehen eine Menge an ganz speziellen Aufbereitungsmethoden, die den Sektor Specialty Coffee zum bunten Teppich machen. Die anaerobe Fermentation wird ganz sicher mehr Spielarten bekommen, und besonders behandelte Bohnen werden auch immer stärker kommen. Ich glaube auch, dass wir außergewöhnliche Varietäten zu sehen bekommen und ganz seltene Ernten von außergewöhnlichen Anbaugebieten. Da müssen Baristas entsprechend reagieren können mit ihren Fähigkeiten.
Lass uns ein bisschen in die Welt blicken. Du bist weltweit als Juror tätig und in internationalen Cafés zuhause. Allerdings ist kein Land wie das andere. Welche Unterschiede fallen dir auf? Gibt es z.B. Kaffeesorten oder Zubereitungsmethoden, die bestimmte Länder bevorzugen?
John: Der Unterschied zwischen Kaffeehäusern in Oslo, Salzburg, Lissabon, Nairobi, Seoul und Bogota liegt im Zugang zu High End-Kaffee und im Wissen über die verschiedenen Brühmethoden. Exklusive Bohnen finden den Weg zu Coffeeshops wohlhabenderer Länder, aber die Idee von Coffeeshops mit ausgewählten Kaffees und Getränken im Geiste der Third Wave of Coffee* gibt es sowohl in Nairobi als auch in Kiev oder Reykiavik. Unterschiede gibt es grob in der Hinsicht, dass in Nordeuropa schwarzer Kaffee in großen Mengen gekocht wird, in Afrika und in Zentral- sowie Südamerika sind Milchalternativen noch nicht auf dem Schirm, aber der Rest ist im Grunde ähnlich.
Welches Kaffeeland hat dich als Kaffee-Alchemist in den letzten Jahren am meisten fasziniert? Gibt es eines, das gerade seinen Weg in den Markt für Specialty Coffee macht?
John: Kolumbien macht brillanten Specialty Coffee. Dort hat sich auch eine Welle gebrochen in Sachen Experimentierfreude bei den Aufbereitungsmethoden, was zu ziemlich interessanten und komplexen Kaffees führt. Ich bin auch gespannt auf Kaffee aus Jemen. Seit vielen Jahren gibt es dort exklusiven Kaffee, der auf dem europäischen Markt sehr selten ist. Das Tassenprofil kann noch nicht ganz mithalten mit einem washed Bourbon oder mit Kaffees aus Äthiopien, es ist jedoch vielversprechend und so anders, ich werde das weiter beobachten.
Du wohnst in Österreich und bist gleichzeitig in der Welt zuhause. Welches Land hat aus deiner Sicht die schönste Kaffeekultur?
John: Mein Gefühl geht in Richtung Skandinavien und Japan. Dort gibt es einen klaren Fokus auf puren schwarzen Kaffee, der zudem großartig extrahiert ist, und es gibt dort immer eine große Auswahl von Single Origin Kaffees mit unverfälschtem Geschmack. Diese Länder brillieren auch in der gesamten Bandbreite dessen, was Espresso zu bieten hat und was kalte Kaffeegetränke angeht. Am meisten aber fasziniert mich das ziemlich offenkundige Verständnis dafür, wie man Konsumenten für das pure „schwarze Gold“ gewinnen kann.
Bei jemandem, der Kaffee so differenziert sieht wie du, liegt uns noch eine spannende Frage auf der Zunge: wenn du auf eine einsame Insel nur einen Kaffee mitnehmen dürftest, aus welchem Land wäre dieser Kaffee? Und wie würdest ihn der Kaffee-Alchemist zubereiten?
John: Glasklar: äthiopischen Yirgacheffe, washed. Oder einen guten Geisha. Beide würde ich frisch aufbrühen. Und nur so.
*Third Wave of Coffee ist eine Bewegung, die die Wertigkeit des Produktes Kaffee betont, ein Konsumbewusstsein dafür schaffen will und die Individualität jedes Kaffee hervorhebt, die eine gewisse Professionalität in der Zubereitung erfordert.
Fotos: © Adobe Stock, Kaffee Alchemie