Wie kann zukunftsfähiger Kaffeeanbau im Klimawandel aussehen? Eine Frage, die Millionen von Farmer-Existenzen betrifft. Alexa Heinicke hat einige Antworten darauf. Sie ist Mitgliedschafts-Managerin bei World Coffee Research (WCR) und Bindeglied zwischen Kaffeeforschung und Industrie. Mit ihr haben wir darüber gesprochen, welche Antworten die Forschung hat, warum ihr Blick auf besonderen 5.000 neuen Kaffeepflanzen ruht und warum Kaffee keine Knauserigkeit mehr verträgt.
Alexa, World Coffee Research (WCR) arbeitet seit Jahren daran, den Kaffeeanbau mit Forschung sicher durch den Sturm des Klimawandels hindurch zu schiffen. Angesichts alarmierender Zahlen aus jüngsten Berichten, wie etwa dass sich die für Kaffee verfügbaren Flächen bis 2050 halbieren könnten – wie ist deine Einschätzung, wie gut das noch gelingen kann?
Alexa: Forschung kann Lösungen anbieten, Hersteller, Kaffeeindustrie und weitere Instanzen müssen sie umsetzen. Deshalb sind da mehrere Kompetenzen gefragt, die als Gemeinschaft daran arbeiten müssen. Das Gute ist: wir haben Lösungen und ganz neue, sehr aussichtsreiche Projekte. Also: ja, es kann gelingen, dass wir auch in Zukunft hochwertigen Kaffee trinken können. Gleichzeitig sage ich klar: es ist dringend nötig, zu reagieren. Gerade weil optimale Agrarflächen knapp werden, die Großwetterlage sich bereits verändert hat mit spürbaren Folgen usw.
Welche Länder sind denn am meisten davon betroffen?
Alexa: Die Wetterlage verschiebt sich sowohl in Schlüsselregionen wie Brasilien, Kolumbien und Vietnam als auch in Ländern mit geringerer Produktion. Es ist ja noch nicht allzu lange her, dass Brasilien von einer Frostwelle überrascht wurde mit verheerenden Folgen. Neben solchen großen Ereignissen stehen Farmen weltweit vor der Herausforderung, dass die Jahreszeit generell zunehmend anders ablaufen als gewohnt. Wenn es z.B. also immer öfter zu kalt ist während der Blütezeit, wo man in früheren Jahren nicht damit rechnen musste, oder dass es zu heiß und zu trocken ist in bestimmten Wachstumsperioden.
Wo sieht WCR Möglichkeiten den Hebel anzusetzen für zukunftsfähigen Kaffeeanbau?
Alexa: Wir schauen ausschließlich auf die Kaffeepflanzen. Dabei analysieren wir, welche Pflanzen in welchen Regionen am besten wachsen und wir züchten robuste Varietäten, die den gestiegenen Anforderungen durch den Klimawandel standhalten.
Klingt beides nach viel Arbeit. Lass uns zuerst über die erste Zielsetzung sprechen: welcher Kaffee wächst wo am besten. Wie gehen die Forscher dabei vor?
Alexa: Das sind große und lang angelegte Projekte, eines konnten wir 2021 abschließen. Dabei haben wir zuerst ermittelt, welche Kaffeevarietäten weltweit am besten abschneiden in den Kategorien Ernteertrag, Qualität und Widerstandsfähigkeit. Das waren insgesamt 31. Aus ihnen haben wir 29 Test-Kits erstellt und in 18 Anbauländer für sog. Trials geschickt, also Testpflanzungen auf ausgewählten Farmen in Zusammenarbeit mit den nationalen landwirtschaftlichen Instituten. Da Kaffee eine Baumpflanze ist, gehen erst mindestens drei Jahre ins Land bis zur ersten Ernte. Ab dem vierten Jahr konnten wir deshalb erst die Kaffeeernten der Trials bei uns verkosten.
Wurden eure Erwartungen erfüllt?
Alexa: Wir waren alle aufgeregt, wir hatten uns sehr viel davon versprochen. Glücklicherweise haben wir viele positive Ergebnisse bekommen. Die meisten Länder bauen etwa vier bis sechs Varietäten an. Da ist die Bandbreite, aus der die Farmen schöpfen können, nicht groß, um mit anderen Pflanzen auf veränderte Anbaubedingungen zu reagieren. Unsere Trials haben nun für einige Länder Varietäten gefunden, die sehr gut zu ihrem Profil von Klima und Boden passen. In Indonesien etwa zeigte sich, dass die Varietät Mundo Maya viel besser funktioniert. Anders in Australien, dort ist Marsellesa ein toller Match.
Gibt es eine Varietät, die überall gut funktioniert?
Alexa: Es gibt nicht die Allover-Varietät, die überall und in sämtlichen Kategorien am besten ist. Jedes Anbauland ist ja individuell beschaffen. Allerdings gibt es ein paar Varietäten, die überdurchschnittlich gut abgeschnitten haben, wenn man die Ergebnisse der Trials unter dem Strich ansieht. Auf Platz eins liegt die Varietät EC16, sie hat über alle Standorte hinweg die besten Ergebnisse erzielt, v.a. was das Kriterium Ernteertrag betrifft. Pacamara hingegen hat am schlechtesten abgeschnitten. Das heißt aber nicht, dass man diese Varietät nicht mehr anbauen sollte. Sie erzielt noch gute Ergebnisse in einigen Regionen, dort kann sie eine Option sein. Man muss das also immer für den Einzelfall evaluieren.
Was nehmt ihr aus diesen Trials für weitere Forschung mit?
Alexa: Für uns lautet die Fragestellung: welche Kaffeepflanzen kommen am besten mit unterschiedlichen Wetterbedingungen klar? Deshalb rücken wir die besten Varietäten aus unseren Trials in den Fokus und machen sie mit ihren vorteilhaften Eigenschaften zu Eltern neuer Varietäten.
Womit wir beim zweiten Teil der Arbeit von WCR sind. Was bedeutet es genau, wenn WCR neue Varietäten züchtet?
Alexa: Wir kreuzen Varietäten miteinander, damit sie sich in ihren besten Eigenschaften ergänzen. Um einem Missverständnis vorzubeugen: die Arbeit von WCR hat nichts mit genetischer Veränderung zu tun, das lehnen wir strikt ab. Die Forscher sehen sich lediglich die Genetik von Pflanzen an, um herauszufinden, welche Pflanzen sinnvollerweise miteinander kombiniert werden können. Das bringt enorme Zeit-, Kosten- und Ressourcenersparnis: anstatt Tausende von Pflanzen anzubauen und nach mehreren Jahren erst herauszufinden, welche davon am besten wachsen, wie es in der konventionellen Züchtung gehandhabt wird, können die Züchter Jungpflanzen nehmen, ihren genetischen Fingerabdruck anschauen, die geeigneten auf ihr Feld verpflanzen und andere aussortieren.
Was vorteilhafte Merkmale angeht, hört man immer wieder von Ideen, Arabica mit Robusta zu kreuzen, um gute Qualität aus der einen und Widerstandsfähigkeit aus der anderen Pflanze zu vereinen. Setzt WCR auch auf dieses Pferd?
Alexa: Es ist schwierig, Arabica und Robusta zu kreuzen, denn es handelt sich um zwei verschiedene Pflanzenrassen. Was aber gelungen ist: wir konnten den tieferwachsenden Wurzelstock von Robusta- in Arabicapflanzen transplantieren. Das ist ein toller Vorteil, wenn man etwa an Wasserknappheit denkt. In Indonesien gibt es bereits solche Pflanzen, das klappt gut. Unser Fokus liegt zurzeit jedoch auf Arabica-Pflanzen, und da haben wir derzeit genug Optionen. Wir haben ja auch Zeitdruck, schnell gute Varietäten auf die Farmen zu bringen.
Zeitdruck wegen Klimawandel oder wegen Kaffeeindustrie?
Alexa: Das eine ist ja direkt mit dem anderen verbunden. Der Kaffeekonsum steigt weltweit, auch in den Herstellerländern selbst wird mehr Kaffee getrunken. Wir sehen also, dass es wichtig ist, möglichst viele Anbauregionen mit gutem Material zu versorgen und zu erhalten für eine stabile Lieferkette im Markt. Das Beispiel vom Frost in Brasilien machte unmissverständlich klar: verlässt man sich auf wenige große Anbaugebiete, ist das ein Risiko, so ein Verlust kann auf dem Markt nur schwer ausgeglichen werden. Und es hängen ja auch Existenzen dran. Der größte Teil der weltweiten Kaffeeernte stammt aus kleinen bis kleinsten Betrieben, die viel Unterstützung brauchen. Wenn dort bestimmte Kaffeesorten oder -Varietäten bislang funktioniert haben und es wegen des Klimawandels plötzlich nicht mehr tun, stehen sie vor der existenziellen Frage: kann ich etwas ändern, damit es sich noch lohnt oder muss ich aufgeben? Um das herauszufinden, muss man erst in Forschung investieren, daran kommt man nicht vorbei.
Das klingt, als ob es schwierig sei, alle Beteiligten davon zu überzeugen…
Alexa: Die großen Kaffeekammern der Welt – Brasilien, Vietnam und Kolumbien – investieren schon seit 30 Jahren und länger in Forschung. Deshalb sind sie auch die einzigen Länder, die signifikant mehr Produktivität erreicht haben. Mittlerweile verstehen alle, dass es ein Problem gibt. Viele Anbauländer ziehen in den letzten Jahren nach, deshalb müssen wir keine große Überzeugungsarbeit mehr leisten. Da Kaffeepflanzen aber erst eine Zeit lang wachsen müssen, bis sie zum ersten Mal eine Ernte abgeben, ist klar: das geht nicht von heute auf morgen. Forschung muss jetzt passieren.
Woran arbeitet WCR aktuell?
Alexa: Wir haben 2022 ein neues Konzept herausgebracht. Es heißt Innovea Global Breeding Network und bringt als globales Netzwerk die nationalen Partner wie landwirtschaftliche Institute etc. enger zusammen. Das macht Prozesse deutlich schneller, und die Beteiligten treten einfacher in den Austausch. Manchmal sind auch rechtliche Fragen zu klären. Wenn etwa ein Land Interesse an einer Varietät hat, die geistigen Eigentumsrechte dafür jedoch bei einem anderen Land liegen, muss verhandelt werden. Die landwirtschaftlichen Institute spielen hier eine wichtige Rolle. Sie sind die Schnittstellen, die u.a. neues Saatgut und Varietäten an Farmen herausgeben, sie sind deshalb am nächsten am Hersteller dran, der alles umsetzen muss. Dazu hat WCR mit Innovea Global Breeding Network 30 neue Züchtungen aus starken Mutterpflanzen entwickelt. Dieses Jahr werden 5.000 neue Pflanzen in neun verschiedenen Ländern angepflanzt, jede einzelne Pflanze davon trägt einen einzigartigen genetischen Stempel in sich. Sechs Jahre lang werden Messungen dazu gemacht zusammen mit den nationalen Partnern. Im besonderen Fokus bei diesen Züchtungen standen Widerstandsfähigkeit im Klimawandel und gegen den Befall von Kaffeerost und Kaffeebeerenkrankheit.
Wir haben viel darüber gesprochen, was Forschung, Hersteller und Industrie für eine nachhaltige Zukunft mit Kaffee tun können. Als der Weltklimareport im März veröffentlich wurde, betonte Prof. Hans-Otto Pörtner, Mitglied im Weltklimarat, dass ein Wendepunkt für eine nachhaltige Zukunft nur zu erreichen sei, wenn die Gesellschaft mitmacht. Teilst du diese Meinung?
Alexa: Das ist eine starke und provokative Frage, wenn man sie an Konsumenten richtet, denn das bedeutet, dass man das eigene Verhalten reflektieren muss. Ich persönlich denke: wenn man Billigkaffee kauft, macht man sich schuldig an den Konsequenzen, die damit einhergehen. Das gilt für Kaffeehändler, die Kaffee kaufen, genauso wie für Konsumenten. Es muss endlich ein Bewusstsein dafür geben, dass das persönliche Verhalten Folgen hat. Wir sollten uns alle klarmachen, dass wir nie den Punkt erreichen, um sagen zu können: wir haben es geschafft. Das ist ein ständiger Prozess. Das ist nur zu lösen, wenn alle an einem Strang ziehen.
Wir bedanken uns für das tolle Gespräch mit Alexa Heinicke von World of Coffee Research über den Beitrag der Forschung für die Zukunft von Kaffee.