Von der Not der Kakaobauern – und wie wir das besser machen können
Friedel Hütz-Adams weiß, wie bitter Schokolade schmecken kann. Schon oft war er auf Kakaoplantagen in Westafrika und sah, wie hart die Menschen dort für einen Hungerlohn arbeiten. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des SÜDWIND-Instituts hat er zahlreiche Studien verfasst über Probleme in der Wertschöpfungskette, u.a. im Kakao-Handel. Seine Arbeit dreht sich immer wieder um die Frage: wie kann Nachhaltigkeit durchgesetzt werden? Beständig arbeitet er daran, Unternehmen Möglichkeiten aufzuzeigen, die den Bauern ein existenzsicherndes Leben durch den Kakaoanbau ermöglichen. Im Handelsmodell Direct Trade sieht Friedel Hütz-Adams den einzigen Weg zu echter Veränderung. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
Wenn wir Schokolade im Supermarkt kaufen, stammt der Kakao wahrscheinlich aus Westafrika, wo 60 Prozent der weltweit gehandelten Bohnen herkommen. Die Kakaobauern dort leiden bittere Not. Wie ist die Lage dort seit dem Kakaopreissturz 2016/17?
Friedel Hütz-Adams: Sie hat sich weiter verschlechtert, doch auch zuvor lebten viele Bäuerinnen und Bauern unterhalb der Armutsgrenze, das belegen viele Studien. Die Armut der Familien ist auch Hauptursache für die weit verbreitete Kinderarbeit, weil sie sich keine erwachsenen Erntehelfer leisten können. Zudem haben sie zu wenig Geld, um in bessere Anbaumethoden oder in andere Standbeine zu investieren. Ein Preisverfall verschärft diese Probleme drastisch. Noch prekärer ist die Situation von Pächtern und Tagelöhnern.
Die Elfenbeinküste, wo besonders viele Kinder auf den Plantagen arbeiten, hat eine Konvention der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) unterschrieben, in der Kinderarbeit nur eingeschränkt erlaubt ist. Hat sich da etwas geändert bis heute?
FHA: Alle wichtigen Anbauländer haben die Kernarbeitsnormen der ILO unterzeichnet. Umfragen zeigen zudem, dass nahezu alle Eltern ihre Kinder lieber zur Schule schicken wollen. In der Elfenbeinküste war aufgrund des Bürgerkrieges z.T. die Schulinfrastruktur in Mitleidenschaft gezogen worden, was jetzt wieder geändert wird. Doch auch in Ghana, wo fast überall Schulen da sind, arbeiten hunderttausende Kinder auf Plantagen. Das wirkliche Ende der Kinderarbeit hat daher nicht nur mit der Verfügbarkeit von Schulen zu tun, sondern hängt entscheidend von den ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Damit sind wir beim Kakaopreis, der existenzsichernde Einkommen ermöglicht, und einer Agrarpolitik, die Bäuerinnen und Bauern unterstützt.
Laut Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung ist Deutschland größter Exporteur von Schokoladenprodukten. Hätte Deutschland genug Gewicht, um eine Änderung bewirken zu können?
FHA: Viele große Unternehmen haben Fabriken in Deutschland, und es gibt hier mit dem Forum Nachhaltiger Kakao einen Zusammenschluss, dem die wichtigsten Unternehmen der Branche angehören, dazu Ministerien, Nichtregierungsorganisationen, Einzelhändler und standardsetzende Organisationen. Ähnliches gibt es in der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien. Deutschland könnte, nicht zuletzt im Verbund mit den Nachbarländern, also eine Menge bewegen – mit globaler Auswirkung, denn niemand will den deutschen Markt verlieren.
Auf der Weltkakaokonferenz im April 2018 sagte die damalige Bundesagrarministerin Julia Klöckner: „Mein Ziel ist, den Anteil nachhaltig erzeugten Kakaos in den in Deutschland verkauften Schokoladenwaren bis 2020 auf 70 Prozent zu erhöhen.“ Klöckners Idee von „nachhaltigem Kakao“ ist ein Zertifikat – ohne gesetzliche Grundlage. Ist das der Weg?
FHA: Nein. Eine Reihe von Studien belegt, dass auch Bäuerinnen und Bauern, die von den standardsetzenden Organisationen Fairtrade, UTZ und Rainforest Alliance zertifiziert wurden, oft weit unterhalb der Armutsgrenze leben. Zertifizierungen sind dazu da, Wertschöpfungsketten transparenter zu machen. Aber in Zeiten niedriger Weltmarktpreise reicht ihr Einfluss nicht, um die Situation grundlegend zu verbessern. Dies ist sowohl der Branche als auch den Ministerien eigentlich bekannt. Immer mehr Unternehmen fordern mittlerweile eine gesetzliche Regulierung. Sie wissen, dass für echte Nachhaltigkeit deutlich höhere Preise für den Kakao angesetzt werden müssten. Einzelne Unternehmen können das im scharfen Wettbewerb nicht stemmen. Ohne gesetzliche Regulierung wird es keinen echten Fortschritt geben.
Auf der Konferenz einigten sich Vertreter aus Industrie, Politik und Zivilgesellschaft auf gemeinsame „Empfehlungen“ und „Richtlinien“, um v.a. die Lebensbedingungen der Kleinbauern zu verbessern. Das klingt sehr schwammig. Wieviel Vertrauen setzen Sie in solche Worte?
FHA: Das ist in der Tat alles sehr schwammig, so etwas hat in der Vergangenheit nicht zu wirklichen Lösungen geführt. Bereits 2001 hat sich die Kakao- und Schokoladenbranche in den USA in einem freiwilligen Abkommen, dem Haken-Engel-Protokoll, dazu verpflichtet, die Kinderarbeit im Sektor zu beenden. Derzeit ist umstritten, ob es seitdem überhaupt Fortschritte gegeben hat. 2012 wurde auf der Weltkakaokonferenz in Abidjan eine Deklaration verabschiedet, die massive Verbesserungen für die Bäuerinnen und Bauern einforderte, und es wurden Verantwortlichkeiten benannt. Geschehen ist seitdem wenig, da sich weder die meisten Regierungen der Kakao anbauenden Länder noch die Unternehmen dazu verpflichtet sehen, Investitionen in ausreichender Höhe zu leisten.
Wenn der Kakaoanbau so unattraktiv ist, besteht da nicht die Gefahr, dass junge Generationen sagen, sie machen etwas anderes als im elterlichen Knochenjob weiter zu buckeln?
FHA: Es ist tatsächlich so, dass die nachfolgende Generation häufig nicht in den Kakaoanbau möchte. Viele Menschen wandern jung aus dem Kakaoanbau ab, ein Teil von ihnen kehrt aber später zurück, weil sie keine Alternativen gefunden haben. Kakaoanbau garantiert keine ausreichenden Einkommen, mag aber relativ gesehen zu anderem teilweise noch die bessere Option sein.
Die Situation einiger Kaffeebauern ist ähnlich. Nachhaltige Kaffeeröstereien verfolgen das Handelsmodell von Direct Trade, d.h. ohne Zwischenhändler direkt mit Kaffeebauern bzw. Kooperativen zu handeln, die Plantagen zu besuchen, gemeinsam Qualitätsziele zu formulieren und langfristige, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Für gute Qualität wird dann auch mehr bezahlt als der Börsenpreis. Kann es so einen Ansatz auch für den Kakaohandel geben?
FHA: Es gibt eine ganze Reihe von Startups, die auf direkte Vermarktungsstrukturen setzen. Auch gibt es größere Unternehmen, die diesen Weg einschlagen. Letztlich wird dies die einzige Möglichkeit sein, tatsächlich nachhaltige Strukturen aufzubauen: langfristige, verlässliche Verträge und Preise, die Existenzen sichern, verbunden mit der Unterstützung bei Investitionen in bessere Anbaumethoden etc.
Viele fragen sich, was man selber tun kann. Worauf kann ich vertrauen, dass ich mit dem Kauf einer Tafel Schokolade keine hart arbeitende Familie ausbeute?
FHA: Die Siegel der standardsetzenden Organisationen sind eine Teillösung. Sie zeigen die Bemühung, Transparenz in die Wertschöpfungskette zu bringen. Aber es muss mehr getan werden, denn die Organisationen haben auf vieles keinen Einfluss wie z.B. Infrastruktur, Landrechte und generell die Agrarpolitik, was wichtig wäre für die Bäuerinnen und Bauern. Auch ist der Mindestpreis von Fairtrade z.B. ist viel zu gering für existenzsichernde Einkommen, wie Studien zeigen. Sie können somit nur einen Teil dessen in den Griff bekommen, was für mehr Nachhaltigkeit notwendig ist.
Was muss getan werden, um die Situation auf lange Sicht zu ändern?
FHA: Wir brauchen eine Initiative des Gesetzgebers. Unternehmen, die in mehr Nachhaltigkeit investieren wollen, haben meist höhere Kostenstrukturen, sind derzeit damit also im Wettbewerbsnachteil. Damit alle Unternehmen zum Handeln gezwungen sind, brauchen wir ein Gesetz, das für alle gilt. Die Leitsätze der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte greifen dies auf, genauso wie die der OECD für multinationale Unternehmen. Diese müssen endlich in bindendes Recht umgesetzt werden: kein Unternehmen darf von Menschenrechtsverletzungen in seiner Wertschöpfungskette profitieren.
Bildnachweis: Archiv SÜDWIND