Wie Kaffee-Netzwerker Edgar Cabrera seine große Kaffeefarm-Gemeinschaft mit der ganzen Welt verknüpft und warum es immer ums Wasser geht
“Wir sind eine Kaffeefamilie durch und durch”
Als wir Edgar Cabrera online treffen, ist es 17 Uhr. Während bei uns der hellgraue Dunst eines nicht in Fahrt kommen wollenden Aprils bereits das Licht des Tages schluckt, haben sich die hellen Strahlen der Morgensonne schon bis zur Hälfte von Edgars kleinem Arbeitszimmer in Antigua, Guatemala, vorangearbeitet. Edgar entschuldigt sich, verschwindet kurz vom Bildschirm und kommt mit einer Tasse zurück. „Ohne Kaffee komme ich morgens nicht in Fahrt. Aber so gehört es sich ja wohl für einen Kaffeemanager“, lacht er und stellt die Tasse ab auf seinem akkurat aufgeräumten Schreibtisch.
Edgar, um die 50, dezente Brille, casual smart mit Käppi und Anzugshemd und immer irgendwie schelmisch lächelnd, ist der Manager von San Miguel Coffees und vertreibt den Kaffee von fünf Farmen, allesamt geführt von Cousins aus Edgars riesiger Familie, die mindestens 200 Köpfe zählt. „Wir sind eine Kaffeefamilie, durch und durch“, sagt er. Seit 1890, als Edgars Ururgroßvater den Grundstein legte mit der Farm San Sebastian.
Vor Jahren war unser Autor Thomas dort bereits zu Besuch. Wir möchten wissen, was sich seither verändert hat, ganz besonders beim Thema Nachhaltigkeit. Edgar nimmt die Tasse in die Hand, lehnt sich zurück, schiebt seine Brille bis ganz nach oben und beginnt zu erzählen…
In etwa 40km Ferne im Westen ragt der Vulkan Acatenango 4.000m in den Himmel. An seinen üppig grünen Hängen liegt die Farm San Sebastian. Edgar kann diese Hänge von seinem Büro aus sehen. Wenn er die Farm nach unserem Gespräch besucht, weiß er, es wird sich wieder alles ums Wasser drehen. Dieses Thema sei eines der Steckenpferde seiner Cousins José Miguel Falla und Estuardo Castillo, der im Januar 2021 die Leitung der Farm an José übergeben hat.
Die beiden haben vor Jahren bereits Wasseraufbereitungsanlagen eingerichtet, um das Wasser, das bei der Herstellung von Kaffee zum Einsatz kommt, etwa beim Waschen der Kaffeekirschen nach der Ernte, wieder sauber in den Kreislauf der Natur zurückzuführen und um die Anwohner der umliegenden Gemeinde mit Trinkwasser zu versorgen. Unlängst habe José neues Equipment installiert, das den Wasserverbrauch deutlich reduziere. „Die beiden tüfteln immer daran herum, wie es noch besser gehen könnte“, erzählt Edgar.
„Voraussetzung für Nachhaltigkeit ist gute Qualität“
Wasser sei aber nur eines der vielen Themen, an denen San Sebastian ständig arbeite, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Im Zentrum aller Familienfarmen stehe jedoch, guten Kaffee zu machen. „Wir finden, Nachhaltigkeit ist eine sehr wichtige Sache, die aber auch bezahlt werden muss. Nur mit gutem Kaffee kann ich einen guten Preis erzielen. Davon hängt alles weitere ab“, erklärt Edgar.
Um das zu schaffen und wettbewerbsfähig zu bleiben neben immer mehr erstarkenden Farmen, die sich der Nachhaltigkeitsthematik bewusst werden und guten Kaffee erzeugen, setzt San Miguel Coffees seit über zehn Jahren auf ein Konzept von fünf Säulen, das das ganze Leben und Arbeiten auf den Farmen miteinbezieht: respektvoller Umgang mit Mitarbeitern, Bildung, Klima- und Naturschutz, striktes Qualitätsmanagement und vor allem langfristige und vertrauensvolle Beziehungen zu Handelspartnern.
„Es ist ein großes Ganzes, bei dem alles zusammenwirkt. Nur wenn man auf jedes Zahnrad achtet, kann etwas wirklich Gutes am Ende herauskommen“, ist Edgar überzeugt.
Es beginne bereits bei den Mitarbeitern. San Miguel Coffees ist Gründungsmitglied der Association of Antigua Coffee Producers, die sich um eine Verbesserung der Sozialstandards für die Arbeiter und deren Familien der Region kümmert. Dazu gehöre nicht nur eine faire Entlohnung sowohl für durchgehend Beschäftigte als auch für die vielen Menschen, die jedes Jahr zur Erntezeit zwischen November und März samt Familien anreisen – in Hochzeiten zählt San Sebastian an die 900 Menschen. „Wir sehen uns auch in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle gut unterkommen und medizinisch versorgt werden“, sagt Edgar.
So initiierte San Miguel Coffees vor Jahren die Gründung einer Klinik zur medizinischen Versorgung innerhalb der Region. Die Arbeit auf Kaffeefarmen attraktiv zu gestalten sei umso wichtiger angesichts der aktuellen Entwicklung. „Es wandern immer mehr Saisonarbeiter ab in die USA und verdienen dort Geld, das sie ihren Familien schicken, die kommen dann nicht mehr wie sonst zur Ernte“, berichtet Edgar von einer Herausforderung, mit der sich Kaffeefarmen in den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen.
„Gute Bildung ist der Grundstein für Qualität“
Als zweite Säule nennt Edgar den Aspekt Bildung. San Sebastian setzt bereits an der Basis an, nämlich bei den Kleinsten. Vor 70 Jahren hat die Farm die örtliche Schule gegründet, für deren Betrieb sie auch heute noch komplett aufkommt. Aktuell werden dort rund 50 Grundschüler und etwa 30 Jugendliche unterrichtet. „Bildung sollte als selbstverständlicher Teil des Lebens wahrgenommen werden“, findet Edgar. So freut er sich, dass die Gründung der Schule heute Früchte trägt: immer mehr Mitarbeiter, die bereits diese Schule besuchten, wollen sich weiterbilden.
San Miguel Coffees ermöglicht den Zugang zu Bildungsprogrammen und vermittelt zu den ca. 30 anderen Farmen rund um die Stadt Antigua für einen Wissensaustausch. „Während Mitarbeiter früher auf althergebrachtes Wissen vertrauten und eher skeptisch waren, wenn z.B. agrartechnische Berater von außen kamen mit neuen Ideen, ist das heute völlig normal“, berichtet Edgar.
„Wir brauchen eine intakte Natur, wir leben ja von ihr“
Es quietscht. Edgar gleitet schwungvoll aus seinem ledernen Bürostuhl. Mit charmant entschuldigendem Blick hält er uns die leere Tasse in den Bildschirm und verschwindet. Aus einer Ecke des Zimmers dringt das Geräusch einer ratternden Kaffeemühle zu uns, das Einrasten des Siebträgers in die Maschine und schließlich das Brummen durchlaufenden Wassers.
Als Edgar wieder kommt und von seinem Kaffee getrunken hat – es ist ein anaerob fermentierter Kaffee von San Sebastian, an dem sich José seit kurzem versucht – dreht er seinen Computer in Richtung Fenster, sodass auch wir den Acatenango jetzt über die Dächer der Stadt hinweg sehen können. Edgar stellt sich ans Fenster und deutet zum Vulkan. „Dort setzen wir unsere dritte Säule um“, sagt er, „Klima- und Umweltschutz.“
Mit knappen Bewegungen zeigt er uns, wo was auf der 2.200ha großen Farm am Fuße des Acatenango wächst. Zwischen 1.400 und 2.200m Höhe wird Kaffee angebaut, zwischen 1.400 und 1.600m Macadamianüsse und Avocados, der Rest ab 2.200m ist geschütztes Waldgebiet. Um das kümmere sich die Familie, seit es die Farm gibt.
„Wir brauchen eine intakte Natur, wir leben ja von ihr. In vielen Köpfen existiert der Klimawandel als eine Sache, in der andere was tun müssen. So kommt man aber nicht weiter“, ist Edgar überzeugt. Gerade deshalb achtet San Sebastian auf eine nachhaltige Anbauweise, die den Schutz der umliegenden Natur gewährleistet, z.B. mit effizienten Bewässerungs- und Aufbereitungssystemen, boden- und pflanzenschonende Ernte von Hand und nährstoffreiche Vulkanerde als natürlicher Dünger. Und wie die anderen Farmen von San Miguel Coffees richtet auch San Sebastian den Blick verstärkt auf Varietäten, die höhere Temperaturen vertragen und mit weniger Wasser auskommen.
Mit derselben Sorgfalt widmet sich San Sebastian dem Thema Qualität. „Da kann man nie auslernen“, sagt Edgar. Es sei ein ständiges Kommen und Gehen von agrartechnischen Beratern, die mit José und seinem Team vor Ort konkrete Verbesserungsvorschläge ausarbeiten, z.B. ob ein Feldstück eine neue Bepflanzung braucht, welche Kaffeevarietät mit dem Boden zusammenpasst oder was in der Aufbereitung der Kaffeekirschen noch effizienter gestaltet werden kann.
Dazu wird jede Ernte im eigenen Qualitätslabor mit nationalen und internationalen Experten evaluiert, sodass ein gewisses Qualitätslevel schon zum Maßstab geworden ist, wie die mehrfachen Prämierungen u.a. vom Cup of Excellence beweisen. Ganz besonders in den letzten drei Jahren sei das Labor zur spannenden Spielwiese geworden, sagt Edgar. Estuardo und José reagieren auf die Nachfrage nach besonders aufbereiteten Kaffees und erproben derzeit verschiedene Honey-Processings und anaerobe Fermentationen.
„Langfristige Partnerschaften, darum geht’s“
Um uns die letzte und wichtigste Säule von San Miguel Coffees‘ Konzept zu erklären, dreht Edgar den Bildschirm zurück und nimmt wieder Platz. „Der beste Kaffee ist erst etwas wert, wenn wir ihn unter die Menschen bringen“, sagt der Manager. Dabei komme es auf die Qualität der Handelsbeziehungen an. Traditionelle Verkaufsstrategien, bei denen Kaffee einfach nur an irgendjemanden des schnellen Geldes wegen verkauft wird, seien viel zu kurzsichtig und ohne Stabilität. „Unser Kaffee ist ein nachhaltig erzeugtes Produkt von guter Arbeit.
Dafür wollen wir Partner finden, die das zu schätzen wissen, uns langfristig ihr Vertrauen schenken und gerne einen guten Preis dafür zahlen. Auf den kommt es letztlich an. Dass guter und nachhaltig erzeugter Kaffee Nebenkosten hat, fällt in den Debatten um das Thema Nachhaltigkeit zu oft unter den Tisch“, sagt Edgar.
Seit über zehn Jahren, seit San Miguel Coffees die Kaffees der fünf Familienfarmen vermarktet, arbeitet er an eben solchen langfristigen Handelsbeziehungen und knüpft beständig Masche um Masche am Netz, das San Miguel Coffees mit der Welt verbindet. Mühselig sei das vor allem anfangs gewesen. Vor etwa vier Jahren habe ein Umdenken eingesetzt. „Man merkt, dass immer mehr Leute wissen wollen, woher ihr Kaffee kommt, wer ihn anbaut und erntet, wo und wie er wächst etc.
Deshalb hat auch die Industrie ein Interesse daran entwickelt“, berichtet er. Heute hat Edgar San Miguel Coffees mit der ganzen Welt verknüpft und verkauft Qualitätskaffee in stabilen Partnerschaften bis nach Australien oder Japan.
Die Strahlen der Sonne haben sich das kleine Büro mittlerweile fast vollständig erarbeitet. Edgar sitzt in einem warm-weißen Lichtbad, in dem er die letzten zwei Schlucke seiner Tasse noch schnell trinkt. Viel zu hastig war das, schimpft er sich selbst, doch der nächste Termin rufe schon. Auf San Sebastian. Dieses Jahr wird dort das traditionelle Familienfest nach der Kaffeeernte gefeiert, das wolle er noch planen mit José .
Bevor er sich verabschiedet, greift er in eine Schublade im Schreibtisch, holt eine Mappe heraus und hält sie uns kurz in den Bildschirm. Das seien Pläne der Bewässerungsanlagen auf San Sebastian. Zur Sicherheit nehme er die lieber mal mit. Er weiß ja: auf San Sebastian geht es immer ums Wasser.
Fotos: Murnauer Kaffeerösterei GmbH
Rund um das Thema Nachhaltigkeit dreht sich auch alles in der Sonderausgabe der Kaffeelust Nr. 44