Wie ist das Leben auf einer Kaffeeplantage? Wie sehen die Hersteller das Thema Nachhaltigkeit? Und wie werden die Erntehelfer gesundheitlich versorgt? Wir haben mit Luzm Marina Trujillo gesprochen, Inhaberin der Kaffeefarm Santa Elena in Costa Rica, über das Leben mit „ihrer großen Familie“ und welche Rolle Zeckenzangen dabei spielen.
„Ich liebe Santa Elena, dafür meistere ich jede Herausforderung“
Es ist 14 Uhr, als wir uns treffen. Bei Luz Marina Trujilo Arang, kurz Luzma, ist es gerade 8 Uhr. Ihr gut gelauntes „Good Morning“ dringt glockenhell durch die Kamera ihres Smartphones zu uns auf der anderen Seite des Atlantiks. Sonst ist Luzma immer irgendwo auf ihrer Finca Santa Elena in Costa Rica. Jetzt erwischen wir sie im Polstersessel eines Hotelzimmers in Florida während einer Geschäftsreise. Noch vor ihrem ersten Termin nimmt sie sich Zeit für uns. Der kleine Bildausschnitt wackelt, als sie sich durch ihre dunklen Locken fährt und zum Kaffeebecher greift. Kein Hotel-Kaffee, sondern von Santa Elena.
„Ich liebe Santa Elena, ich nehme immer Kaffee mit, egal wohin. Das ist mein Stück Zuhause“, gesteht sie lachend, “dafür meistere ich jede Herausforderung.” Und als ob sie sich selbst ein Stichwort gegeben hätte, beginnt Luzma zu erzählen von all dem, was sich in den letzten Jahren auf Santa Elena verändert hat…
Manche Helfer kommen schon seit fast 30 Jahren
Im Januar sind die Kaffeekirschen auf Santa Elena reif. Dann tummeln sich an die 700 Menschen auf der knapp 300ha großen Finca. Erntehelfer aus den Nachbarländern Nicaragua und Panama kommen zu Luzma, manche schon seit fast 30 Jahren. Für zwei Saisonen sei das anders gewesen, erinnert sie sich. Wegen Corona hatte Panama die Grenzen dicht gemacht. Nicaragua hatte nur noch Erntehelfer passieren lassen, trotzdem waren es am Ende gerade einmal 430. „Das war anstrengend für alle, und Corona machte das Arbeiten noch einmal schwieriger“, blickt Luzma zurück. Auch sie selbst stand auf der Plantage. Vor allem um zu motivieren, denn die Leute waren frustriert.
„Ich redete mit ihnen, jeden Tag, und erklärte, warum die Hygiene-Maßnahmen wichtig sind. Ich war der Motor auf Santa Elena“, blickt sie zurück. Auch mit Erleichterung. Das extra eingerichtete Covid-Haus bietet Platz für mehrere Personen – es habe aber kaum Fälle gegeben. Für Luzma ein Glück. Nicht nur für sie als Unternehmerin, sondern auch als Mensch.
Dass es ihrer „großen Familie“ gut geht, war Luzma immer schon wichtig. Wie eine große Muttergestalt kennt sie die Familien ihrer Erntehelfer, sieht deren Kinder auf ihrer Finca aufwachsen und nimmt Anteil an allem, was passiert. Für die Zeit, die die Saisonarbeiter auf Santa Elena verbringen, stellt Luzma deshalb die Unterkünfte und übernimmt Kosten für Krankenversicherung sowie notwendige Behandlungen. Das schließt deren Familien mit ein, die immer mitkommen, außer während Corona.
Jedes Jahr kommt ein mindestens zehnköpfiges Ärzteteam nach Santa Elena
Luzma wollte aber noch mehr tun. Da half ein Zufall. Vor einigen Jahren traf sie Dr. Cindy Elliott von Abundant Health Family Practice, einem Gesundheitszentrum in Arizona. Sie begleitete ihren Mann auf einer Geschäftsreise nach Santa Elena, wo sich beide trafen. Cindy war beeindruckt davon, wieviel Luzma an „ihren“ Helfern und deren Gesundheit lag. „Sie sagte, dass sie uns jedes Jahr mit Ärzten besuchen wolle. Ich dachte, das sei nur so dahingeredet. Doch Cindy kam tatsächlich“, erzählt Luzma. Es entstand das Medical Care Programm auf Santa Elena: jedes Jahr kommt ein Team von mindestens zehn Ärzten und Assistenzkräften auf die Finca, um alle Erntehelfer samt Familien zu untersuchen und zu behandeln.
Luzma schüttelt lachend ihren Kopf, so als ob sie noch immer nicht ganz glauben könne, welchen Segen diese Zufallsbegegnung über Santa Elena gebracht hat. Sie nimmt einen Schluck Kaffee, der Bildschirm wackelt wieder. Luzma blickt aus dem Fenster. Für kurze Zeit ist es still. „Diese Menschen kommen ehrenamtlich, sie schenken uns ihre Zeit. Das ist wertvoll, ich bin sehr dankbar dafür, das sind wir alle.“
Cindys Team bleibt etwa eine Woche. Reisekosten, Aufenthalt, medizinische Ausrüstung und Medikamente werden komplett durch Spenden finanziert. Die Fachkräfte sind für alles Mögliche vorbereitet: Infektionen, Entzündungen und Verletzungen aller Art werden verarztet, schmerzende Trigger Punkte gespritzt, Abszesse oder Zecken entfernt, Fieber kuriert, selbst Hautkrebs wurde bereits chirurgisch behandelt. Besonders häufig treten unter indianisch-stämmigen Helfern Atemwegserkrankungen auf, für die das Team ein spezielles Therapiegerät organisiert hat, das auf der Finca bleibt.
Für komplexere Fälle werden Spezialisten hinzugezogen, für nötige Weiterbehandlungen kommt Santa Elena auf. Darüber hinaus führen die Fachkräfte Gespräche über Familienplanung, zeigen, wie man rückengerecht Lasten hebt oder nehmen Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren und Kleinkindern vor. Immer irgendwo dabei: Luzma, bei einem Sicherheitstraining oder mit helfender Hand.
Was am Ende der Woche an Medikamenten und Verbandszeug übrig ist, bleibt auf Santa Elena zur medizinischen Grundversorgung für den Rest des Jahres. Genauso wie üppige Kleiderspenden, Kinderschminke und eine Horde neuer Kuscheltiere. „Cindy und ihr Team sehen die Kinder aufwachsen, die sie bereits als Babys untersucht haben. Sie gehören zur Familie, schon seit ihrem ersten Besuch“, erzählt Luzma.
“Nachhaltigkeit ist auf Santa Elena immer eine Baustelle”
Wieder ein Schluck Kaffee, das Bild wackelt kurz, dann kommt ein thematischer Schwenk. Klimaneutralität. „Das ist eine Baustelle, an der es immer zu arbeiten gibt“, sagt Luzma und holt aus. 2016 hat sie sich erfolgreich mit ihrer Finca beworben für ein Programm bei NAMA (Nationally Appropriate Mitigation Action), einer internationalen Initiative, die Kaffeeerzeuger unterstützt auf dem Weg zur Klimaneutralität. Es wurde alles angeschaut, was Emissionen erzeugen kann und erarbeitet, wie diese reduziert oder kompensiert, im besten Fall vermieden werden können. Eine der Maßnahmen: das Pflanzen von Bäumen, die als CO2-Speicher dienen.
„Wir hatten bereits vor dem Programm eine Menge schattenspendender Bäume gepflanzt. Mit NAMA kamen 3.000 weitere dazu. Jeder einzelne davon wurde dokumentiert“, berichtet Luzma. Überhaupt werde alles kontrolliert und lückenlos festgehalten. Über das Programm kam Santa Elena z.B. auch an einen neuen Depulper, die Maschine, die die Kaffeebohnen vom Fruchtfleisch trennt. Das neue Modell verbraucht deutlich weniger Wasser. „Als wir gesehen haben, wieviel besser die Maschine ist, haben wir gleich eine zweite angeschafft“, berichtet Luzma.
Das Programm mit NAMA endete 2019, nicht jedoch die Arbeit am Thema Nachhaltigkeit. ICAFE (Instituto del Café de Costa Rica) betreut Santa Elena weiter und kontrolliert regelmäßig die Fortschritte, die die Finca beim CO2-Ausstoß macht. Rat auf dem weiteren Weg gibt es auch von der GIZ (Gesellschaft zur Internationalen Zusammenarbeit).
Nachhaltige Gedanken in die Köpfe der Menschen pflanzen
Das alles sei gut für Santa Elena. Das müsse aber auch in den Köpfen ankommen, ist Luzma überzeugt. Es geht ihr um die ganze Gemeinschaft von Santa Elena und der umliegenden Gemeinde. „Es muss Klick machen.“ Eines ihrer Lieblings-Projekte ist deshalb das Plastik-Shreddern. Mit der Unterstützung eines Kunden schaffte Luzma einen Shredder an. Den überließ sie der örtlichen Schule. Luzma wollte so die Kinder erreichen und damit auch deren Eltern.
Es entstand ein Dauerprojekt: die Kinder brachten Plastik von zuhause mit in die Schule zum Shreddern. Das Plastikgranulat kam dann in einen Betrieb in San José, der daraus etwas Neues machte, z.B. einen großen Teil des Spielplatzes auf Santa Elena oder Recycling-Möbel für die Unterkünfte der Saisonarbeiter. Ein sichtbarer Erfolg für die Leute, die darin einen Sinn entdeckten, erzählt Luzma. Dann kam ein neuer Schulleiter, und das Shredder-Projekt wurde eingestellt. Er habe nicht daran geglaubt, sagt Luzma.
Sie wollte aber, dass die Maschine benutzt wird und nachhaltige Gedanken in die Köpfe pflanzt. Deshalb holte sie den Shredder kurzerhand direkt auf ihre Finca. Der Betrieb in San José sei vorübergehend geschlossen wegen Corona, sagt Luzma. „Das ändert sich schon wieder. Bis dahin sammeln wir weiter Plastik.“
Es ist 15 Uhr bzw. 9 Uhr. Die Termine rufen. Luzma fährt sich wieder durch die Locken, nimmt zwischen verabschiedenden Worten noch einen großen Schluck Kaffee, es ist der letzte. Das sei übrigens ihr anaerob fermentierter Kaffee gewesen, verrät sie. Wunderbar im Geschmack, jedoch knifflige Arbeit, sagt sie, und möchte am liebsten gleich wieder erzählen. Luzma lacht, schickt uns ihr herzliches Adiós durch die Kamera, dann ist der Bildschirm schwarz. Es gäbe noch viel zu fragen. Die Zeit reichte jedoch, um festzustellen: Luzma ist Unternehmerin. Hauptsächlich aber brennt sie für ihren Kaffee. Für ihre Finca. Für ihre große Familie. Genauso wie wir sie vor über zehn Jahren kennengelernt haben. Veränderungen hin oder her.