Wie Cold Brew gelingt, welche Bohne passt und warum er Kaffee neu definiert.
Es war einmal kalter Kaffee… Und hier endet auch schon die alte Geschichte. Cold Brew schlägt ein spannend neues Kapitel im großen Kaffeebuch auf, weil er mal so ganz anders gemacht wird: kalt aufgebrüht. Dieses kühle Käffchen ist jedoch weit mehr als heiß gefeierter Trend. Der kalte Brühprozess dringt in ganz andere aromatische Ecken der Bohne vor und ist eine neuartige Herangehensweise an Kaffee. In unserem Cold Brew-Guide erklären wir, wie er am besten gelingt, welcher Kaffee passt und warum er für die Specialty Coffee-Branche so vielversprechend ist.
Cold Brew: Sprungbrett in neue Geschmackswelten
Kalten Kaffee verband man lange mit einer bitteren schwarzen Brühe, gerne mit verbrannten Noten, Zungenkrämpfe inklusive. Entweder weil der Kaffeesatz nicht ordentlich herausgefiltert war und der Kaffee gnadenlos überextrahierte oder weil man für Iced Coffee-Angebote auch mal Röstungen „recycelte“, die daneben gingen.
Das ist heute anders. Heute wird auf die Zubereitung von Kaffee deutlich mehr Wert gelegt, sodass auch heiß aufgebrühter und abgekühlter Kaffee gut schmecken kann – und es gibt Cold Brew. Großes Karriere-Sprungbrett ist die Generation Z, die 16- bis 25-Jährigen: 30% dieser Generation kennen mittlerweile Cold Brew und trinken ihn regelmäßig, v.a. weil sie neugierig sind, wie der Deutsche Kaffeeverband in seiner Konsumstudie 2021 feststellte.
Mit steigender Bekanntheit könnte sich das Potenzial auch bei den nächstälteren Generationen vergrößern, die Kaffee mehr aus Genuss heraus trinken. Cold Brew soll weniger Bitterstoffe und Säure enthalten. Dazu kursieren die unterschiedlichsten Angaben, wie niedrig der Säuregehalt genau ist. Man stößt auf Zahlen zwischen 15 und 70%. Kaffee enthält Fettsäuren, die von heißem Wasser herausgelöst werden können, nicht jedoch von kaltem, so die Vermutung dazu.
Spannend in diesen Zusammenhang ist auch, was Kaffeeforschung und experimentierfreudige Baristas zum Geschmack von Cold Brew feststellen: kalt aufgebrüht schmeckt Kaffee z.T. völlig anders als heiß zubereitet. „Auf die niedrige Brühtemperatur sprechen einige Aromen besser an als andere, sodass man einen anderen Geschmack in der Tasse hat, als man es von Kaffee gewohnt ist. So lautet eine mögliche Erklärung dazu“, erklärt Ökotrophologin und Profi-Barista Lisa Mucha. Den Grund dafür vermutet man ebenso in der Temperatur: Kaltes Wasser löst keine ölgebundenen Aromen, sondern nur die wasserlöslichen aus dem Kaffee.
Andere Thesen sagen, dass Cold Brew den Brühprozess im Grunde nicht komplett durchlaufen hat so wie heiß zubereiteter Kaffee und deshalb nicht “ganz fertig” ist und deshalb anders schmeckt. All das sind jedoch nur Vermutungen. Über Cold Brew weiß man noch wenig, es gibt kaum Auswertungen dazu.
Dieser Kaffee passt für Cold Brew
Fest steht jedoch: Cold Brew schmeckt oft fruchtig, süß und sirupähnlich. In welche Richtung das geht, hänge auch von der Ziehzeit ab, erklärt Lisa Mucha. „Der Extraktionsprozess läuft bei Cold Brew genauso ab wie bei Filterkaffee, nur in Zeitlupe: Säure, fruchtig-blumige Aromen, süße Noten und dann die Bitterstoffe. Bei Cold Brew kann ich viel einfacher eingreifen, wenn ich ein bestimmtes Aroma möchte, indem ich ihn nur 10 statt 14 Stunden ziehen lassen“.
Grundsätzlich eignen sich alle Kaffees, um Cold Brew daraus zu machen. Für besonders facettenreiche Geschmackserlebnisse empfiehlt Lisa Mucha Kaffees mit komplexeren Profilen, die v.a. in den fruchtigen Bereich gehen. Um dunkle Röstungen oder Robusta-Kaffee solle man jedoch besser einen Bogen machen. Es überwiegen Bitterstoffe, und die komplexen Aromen, die Cold Brew so spannend machen, fehlen bzw. sind in der Bohne mitunter gar nicht angelegt.
Extra cremiges Häubchen: Nitro Cold Brew
Was den Geschmack angeht, ist Cold Brew ziemlich konstant. Während heißer Kaffee sich mit dem Abkühlen geschmacklich verändert, weil sich im Dampf die Aromen z.T. verflüchtigen, bleibt Cold Brew so wie er ist.
Ein weiterer Unterschied zu heiß aufgebrühtem Kaffee: die gelösten Öle im heißen Kaffee sorgen für ein volleres Trinkgefühl im Mund, während Cold Brew sich flüssiger und klarer anfühlt. Die Kreativität der Barista-Welt führte hier zu einer spannenden Erfindung: Nitro Cold Brew für die Portion Cremigkeit. Dabei wird Cold Brew durch eine Zapfanlage geschickt, die eine Portion Stickstoff draufpackt und eine cremige Schaumkrone aufsetzt. Das Geheimnis liegt im sog. Mouthfeel, also wie sich etwas im Mund anfühlt. Die kleinen Stickstoffbläschen verändern nicht etwa den Geschmack, sondern lediglich das Trinkgefühl. Nitro Coffee schmeckt also genauso wie Cold Brew, er fühlt sich nur anders an und beeinflusst dadurch mit seiner Cremigkeit das Genusserlebnis.
Cold Brew–Schwachstellen, die Sie kennen müssen
Cold Brew hat genau zwei Schwachpunkte.
Nummer eins: die sterilisierende Hitze, die mit dem heißen Wasser ins Kaffeepulver schwappt und Keime flachlegt, fehlt. Deshalb kann Cold Brew schlecht werden. „Sie können Cold Brew trotzdem aufbewahren. Tun Sie das am besten im Kühlschrank und für max. zwei Tage“, empfiehlt Lisa Mucha.
Nummer 2: die sog. Fines. Das sind kleine Partikel, die beim Mahlen des Kaffeepulvers entstehen. Sie sind so klein, dass sie 1. viel schneller extrahieren als der Rest des Kaffeepulvers und 2. nicht immer herausgefiltert werden durch herkömmliches Filtern. Ein gewisser Anteil ist fast nicht zu vermeiden und trotzdem völlig in Ordnung für die Extraktion. Treiben jedoch zu viele Fines weiter im Cold Brew, machen sie ihn dann doch noch bitter. Klassisch ungünstig: Cold Brew aus der French Press.
Hier helfen drei Möglichkeiten: Mahlgut-Siebe verwenden, in denen man das Kaffeepulver vorher siebt und diese kleinen Partikel herausfischt, oder besser eine richtige Cold Brew-Kanne, weil sie feinmaschige Filter hat oder eine gute Mühle anschaffen.
Das Equipment: was ist top, was ist flop?
Cold Brew ist keine völlig neue Erfindung. Erste Aufgüsse werden um bereits 1600 in Kyoto vermutet. Dennoch ist diese Art Kaffee zuzubereiten noch ziemlich neu für den Markt. Gerade deshalb gibt es noch keine Standards für die Zubereitung, wie das für Filterkaffee oder Espresso der Fall ist. Das erklärt die z.T. widersprüchliche Flut an Informationen dazu. Im Großen und Ganzen gibt es drei Brühmethoden. Unser Cold Brew-Guide zeigt, wie sie funktionieren mit ihren Vor- und Nachteilen.
Volle Kanne: Full Immersion
Full Immersion bedeutet, dass der gemahlene Kaffee mit Wasser aufgegossen wird, darin treibt und extrahiert. Auf diese Art kann Kaffee sowohl heiß als auch kalt zubereitet werden. Klassisches Beispiel: French Press. Einige benutzen diese Kanne auch für Cold Brew, andere wiederum verwenden einen Kochtopf und filtern ihn anschließend. Bequemer geht das mit speziellen Cold Brew-Kannen mit integriertem Filter für das Kaffeepulver.
Diese Art, Cold Brew zuzubereiten, ist die gängigste. Sicher auch, weil das Equipment erschwinglich und die Zubereitung denkbar simpel ist. Barista Lisa Mucha empfiehlt, die Cold Brew-Kanne zu verwenden. Das spart nachträgliches Filtern, ist in der Reinigung bequem und sorgt für ein aromatisch optimales Ergebnis, weil kaum Fines zurückbleiben. „Im Mahlgrad für Filterkaffee bis French Press zubereiten bei einer Ziehzeit zwischen 10 und 14 Stunden im Kühlschrank, dann wird Cold Brew ziemlich gut“, sagt sie. Beste Resultate erhält man bei einer Dosierung von 45g Kaffee auf 750ml Wasser.
Vorteil: für die Cold Brew-Runde zuhause kein Problem und einfach in der Handhabung.
Nachteil: eher ungeeignet, wenn Cold Brew schnell und in größeren Mengen gebraucht wird.
Eiskalte Hingucker: Dripper
Bei der sog. Drip-Methode tropft kaltes Wasser oder Schmelzwasser von Eiswürfeln über Stunden hinweg auf das Kaffeepulver und tröpfelt als Cold Brew unten in eine Kanne. Bekommst du Cold Brew serviert als Cold Drip, Ice Drip oder Water Drip, dann wurde er auf diese Art zubereitet. Die Dripper mit ihren turmartig übereinandergestapelten Glasbehältern im Labor-Look sind auf jeden Fall sehenswerte Hingucker.
Den Cold Brew einfach sich selbst überlassen, funktioniert hier aber nicht. „Man muss die ideale Tropfgeschwindigkeit im Auge behalten und immer wieder nachjustieren, denn sie ändert sich im Laufe des Brühvorgangs“, weiß Lisa Mucha. Je mehr Wasser aus dem oberen Behälter herausgetropft ist, desto geringer wird der Druck des Wassers und damit die Tropfgeschwindigkeit. Und das wiederum beeinflusst Extraktion und Geschmack.
Vorteil: Cold Brew steht – wenn er nicht gerade mit Eiswürfeln gemacht wird – etwas schneller zur Verfügung als mit Full Immersion.
Nachteil: Je nach Modell muss der Cold Brew noch extra gefiltert werden. Dazu kommt: Dripper gehören nicht zum billigsten Equipment. So ein Turm kann an die 300 Euro kosten und leicht zerbrechen.
Der Kompromiss: Cold Infusion
Wer nicht stundenlang warten möchte, kann sich mit der sog. Cold Infusion-Methode behelfen. Bei ihr treffen sich kaltes und heißes Aufbrühen in der Mitte. Dabei wird Filterkaffee heiß aufgebrüht, der dann auf Eiswürfel tropft. Durch das schnelle heiße Brühen und schlagartige Abkühlen wird der Extraktionsprozess abgebrochen und betont das enzymatische Profil der Bohne. 1/3 besteht aus Eiswürfeln, 2/3 aus gebrühtem Kaffee.
Eine andere Methode ist es, den Kaffee erst als Full Immersion zu brühen mit etwa 1/3 heißem Wasser. Nach ca. 5min mit den restlichen 2/3 kaltem Wasser aufgießen und dann für ca. 1.5 Stunden ziehen lassen.
Vorteil: in kürzerer Zeit lassen sich auch größere Mengen Cold Brew zubereiten, und durch das heiße Brühen ist Cold Infusion steril.
Nachteil: dauert das heiße Brühen zu lange, kann sich das enzymatische Aromenprofil u.U. nicht optimal entwickeln.
Cold Brew 2.0: Active Brewing
Neuheiten haben quasi gesetzmäßig technologische Innovationen im Schlepptau. So ist es auch bei Cold Brew. Active Brewing-Systeme arbeiten aktiv mit am Extraktionsprozess durch Druck bzw. Vakuum und beschleunigen ihn dadurch. Manche Systeme wie z.B. die von BrewBomb X-60 oder Hardtank schaffen es, nach bereits zwei Stunden bis zu 380 Liter Cold Brew herzustellen.
Dazu gibt es viele Parameter, die, einmal für einen bestimmten Kaffee eingestellt, ein gleichbleibendes Geschmackserlebnis garantieren. 2022 neu vorgestellt auf der Messe World of Coffee wurde auch ein Brühsystem, das Cold Brew appgesteuert in kleineren Mengen in nur 5min trinkfertig zubereitet.
Vorteil: ganz klar Zeit und Menge – kleine bis sehr große Mengen sind möglich und das bei konstantem Geschmack. Bemerkenswert auch das: Active Brewing zieht Aromen intensiver heraus für ein Mehr an aromatischem Wow.
Nachteil: ein Wow ist auch der Preis. Derartige Maschinen sind noch ziemlich teuer und es ist viel Equipment dazu nötig.
„Cold Brew wird neben heißem Kaffee gleichberechtigt stehen“
Kaum ein Café ohne eigene Cold Brew-Rezepte, die ganze Branche macht sich gerade auf zu neuen Ufern. In den US sind die Umsätze damit bereits milliardenschwer. Cold Brew ist ein Trend mit Potenzial. Es gibt mittlerweile Röstereien, die sich auf Cold Brew spezialisieren, Kaffees gezielt dafür verkosten und spezielle Röstprofile entwickeln. Die Firma Toddy hat sogar ein eigenes Cupping Protokoll entwickelt unter www.coldbrewcupping.com
„Es gibt noch eine Menge zu lernen über diese Art Kaffee zu brühen“, sagt Lisa Mucha. „Eigene Röstprofile, die technische Weiterentwicklung von Tools und Innovationen – das alles legt nahe, dass Cold Brew v.a. für Specialty Coffee bedeutend wird. Cold Brew wird sich auf einen eigenen Sockel hieven und neben heißem Kaffee als Produkt mit eigener Berechtigung stehen.“
Cold Brew: Grundrezept und Tipps für zuhause
Grundrezept:
45g Kaffee, Mahlgrad etwas gröber als für Filterkaffee
750ml kaltes Wasser
Ziehzeit in der Cold Brew-Kanne im Kühlschrank: 10 bis 14 Stunden
Ab in den Kühlschrank!
Manche lassen Cold Brew auf der Küchentheke ziehen. Das verringert zwar die Brühdauer, ist aber auch eine Einladung für ein Bouquet verschiedenster Keime. Unbedingt auch im Kühlschrank aufbewahren und nach drei Tagen aufbrauchen.
Arabica-Kaffees verwenden aus guter Röstung!
Sie haben ein deutlich größeres Aromenspektrum als Robusta-Kaffees. Eine gute Rösterei wird diese Kaffees so rösten, dass sich dieses Spektrum optimal entfalten kann.
Frisch gerösteten Kaffee 3 Wochen liegen lassen!
Beim Rösten entsteht auf natürliche Weise CO2. Dieses Gas hemmt den Extraktionsprozess. Nach etwa drei Wochen ist es vollständig aus den gerösteten Bohnen entwichen.
Verwende spezielles Equipment!
Cold Brew zuhause gelingt am besten mit der Cold Brew-Kanne. Achte auch auf deine Mühle. Mahlt sie noch gleichmäßig genug? So vermeidest du einen zu großen Anteil von Fines, die überextrahieren und Filtersysteme verstopfen.
Fotos: © Dt. Kaffeeverband, Adobe Stock, Murnauer Kaffeerösterei