Yunson Lee reist seit vielen Jahren dorthin, wo der Kaffee wächst. Damit hat die Südkoreanerin von Terarosa Coffee den Weg geebnet für Direct Trade, als noch niemand daran dachte. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Ehrlichkeit wichtiger ist als nett zu sein, warum sie zu jedem Kaffee eine Geschichte erzählen möchte und warum sie nie Bücher über Kaffee liest.
Yunson Lee mit José Francisco Pereira von Monte Alegre Coffee in Brasilien.
Yunson, seit 2008 reist du dorthin, wo der Kaffee wächst. Das sind keine Sightseeing-Touren. Du diskutierst mit Farmern und beurteilst die Qualität ihrer Kaffees. Da muss man ganz schön tough sein, oder?
Ja, ich bin gerne direkt, das wird mir meist als „ich bin nicht immer nett“ ausgelegt, das hat die Leute anfangs irritiert. Es hilft niemandem, wenn ich nicht ehrlich bin. Mir nicht, weil ich dann immer nur mittelmäßigen Kaffee bekommen werde, und den Farmern nicht, weil sie sich nie verbessern und somit nie mehr werden erreichen können. Ich will diesen Menschen jedoch genau diese Chance eröffnen.
Bist du also mehr als Kaffeekäuferin?
Ich bin Kaffeekäuferin mit einem starken Verantwortungsbewusstsein, für gute Qualität, aber auch für andere Dinge. Ich fühle mich verantwortlich für die Farmer und auch für das Thema Nachhaltigkeit, denn im Kaffeehandel kann man wirklich etwas bewegen.
Das klingt nach einer komplexen Aufgabe. Wie machst du das?
Ich denke, es ist wichtig, den Zusammenhang von Qualität und Nachhaltigkeit begreiflich zu machen. Es fängt damit an, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Nachhaltigkeit bedeutet, dass z.B. Pestizide und Müll auf den Farmen einfach nicht nachhaltig sind und nicht nur dem Produkt schaden, sondern auch Grund und Boden der Farmer und damit ihrer Lebensgrundlage. Und dann muss man auch den Kunden ins Boot holen. Ich will zeigen, dass ein gutes und nachhaltiges Produkt unterstützenswert ist, weil es die Umwelt schont und weil ehrliche Arbeit drinsteckt, die ganze Familien ernährt.
Wie läuft ein Besuch von dir konkret ab?
Ich sehe mir an, unter welchen Bedingungen die Farmer Kaffee anbauen und wir verkosten gemeinsam. Sie vertrauen meinem Urteil, weil ich ein besonderer Cupper bin und genau das finde, woran sie arbeiten können und müssen, um besser zu werden. Es motiviert sie. Zum einen wissen sie, ich bin diejenige, die ihren Kaffee für gutes Geld kauft, zum anderen beginnen sie, sich wirklich um ihren Kaffee zu kümmern. Dann ist der Weg zu herausragender und nachhaltiger Qualität geebnet. Wenn ich also reise, tue ich das, weil ich Einfluss darauf haben will, und das kann ich nur, wenn ich alles und jeden kenne. So etwas steht in keinem Kaffeefachbuch der Welt, diese Erfahrungen muss ein guter Kaffeekäufer vor Ort sammeln. Und ich kann so den Farmern viel besser vermitteln, warum Qualität so wichtig ist. Das Verständnis davon, was Qualität bedeutet, ist beim Händler nämlich oft ein ganz anderes als beim Farmer.
Yunson Lee mit Cuppern in der National Runde des Cup of Excellence in Burundi.
Dazu braucht es sicherlich mehr als einen Besuch…
Deshalb kehre ich jedes Jahr wieder zurück und sehe nach, was sich getan hat. Bei meiner ersten Reise nach Äthiopien z.B. habe ich gesehen, dass Kaffee auf der Straße getrocknet wird. Heute ist das bei „meinen“ Farmern nicht mehr so. Mit meinem regelmäßigen Besuch zeige ich den Farmern übrigens auch, wie ernst es mir mit ihnen ist. Wenn wir über Spezialitätenkaffee reden, bedeutet das nicht nur Kaffee. Ich habe festgestellt, es geht um die Beziehungen.
Worin unterscheidet sich deine Beziehung zu den Farmen von denen, die normale Kaffeehändler pflegen?
Wenn ich in ein Kaffeeland reise, will ich alles und jeden sehen: Händler, Farmer, ihre Familien, Farmen, Washing Stations. Wenn ich das alles kenne, kann ich konkrete Dinge ins Rollen bringen. Fehlt das Geld für Trocknungsanlagen? Gibt es fließend Wasser? Sollte die Anbaumethode verändert werden? Oder auch: brauchen die Menschen medizinische Versorgung? Es ist nicht nur der gute Preis, der für gute Qualität fließt, es entsteht ein Verhältnis, das weit über ein Geschäft hinausgeht, es sind solide Partnerschaften.
In Deutschland debattieren wir gerade über ein Lieferkettengesetz. Es geht um Transparenz, Umweltschutz und um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in allen Schritten der Lieferkette. Wie stehst du zu dieser Debatte? Und was denkt ein Farmer z.B. in Äthiopien darüber?
An sich ist es ein guter Gedanke, ich halte es jedoch für schwierig in der Umsetzung. In manchen Ländern sind z.B. die Prozesse der Handelswege noch nicht so, dass ich eine Transparenz von 100% garantieren kann. Nichtsdestotrotz ist es richtig und wichtig, dass die Politik Dinge auf den Weg bringt, um Menschen, die wenig Einfluss auf Prozesse haben, zu stärken. Für einen Farmer aus Äthiopien mutet dieses Thema übrigens fremd an. Menschen aus wohlhabenden Ländern haben kaum eine Ahnung davon, wie arm viele Farmer sind. Ihre Gedanken drehen sich nicht um Wertschöpfungsketten und transparente Prozesse, sondern darum, dass sie einfach nur froh sind, wenn sie ihre Familien ernähren können.
Was wäre die Alternative?
Ich kann nur sagen, was sich für mich und Terarosa bewährt hat. 1. Es ist in meinen Augen extrem wichtig, gute Partnerschaften aufzubauen mit Ehrlichkeit und Fairness als Grundlage, sodass ich auf ein gutes, wertiges und rundum nachhaltiges Produkt vertrauen kann. Dafür werde ich zuverlässig, gerne und gut bezahlen. 2. Etwas Konkretes tun! Da taucht immer wieder die Preisfrage auf: wieviel zahlst du für Kaffee. Zahlen alleine sagen aber rein gar nichts aus. In dem einen Land sind 10$ mehr wert als in dem anderen, und es bringt nichts, wenn ich nur viel zahle, aber nichts investiert wird. Ich will die Farmer so unterstützen, dass sie auf eigenen Beinen stehen können.
Und was ist mit dem Ende der Lieferkette?
Die Kunden sind ein enorm wichtiges Glied der Kette. Als Konsumenten tragen wir alle Verantwortung. Ihnen muss ich die Geschichte des Farmers und seiner Familie erzählen, dessen Kaffee sie gerade trinken. Kaffee bekommt plötzlich ein Gesicht, der Farmer ist nicht mehr ganz so fern. Kaffee wird so zu einer emotionalen Sache, und damit mache ich die Leute auch sensibler für die Hersteller. Wenn sie dann auch sehen, dass ihr Kaffee ein nachhaltiges Produkt ist, werden sie vielleicht auf einen To go-Becher verzichten, um die nachhaltige Kette weiterzuführen, und vielleicht noch andere Dinge tun.
Kannst du uns so eine Geschichte mit Gesichtern erzählen?
Wir haben vor sechs Jahren ein Projekt in Ruanda gestartet. Es gab da einige Farmer, die ganz guten Kaffee hatten, und mehr dafür wollten, als ich zu zahlen bereit war. Weil ich Potenzial sah, haben wir einen Deal geschlossen: wir haben bis vor kurzem jährlich 60.000$ investiert, zweckgebunden an den Bau zweier Washing Stations. Jedes Jahr kam ich wieder und stellte Veränderungen fest. Die Farmer entwickelten ein anderes Verständnis von Qualität, sie begriffen Sinn und Notwendigkeit von Qualitätskontrollen. Sie interessieren sich plötzlich für andere Aufbereitungsmethoden, tieferes Fachwissen etc., und sie verstanden, dass nachhaltiger Anbau nicht nur ein Etikett ist, das sich gut verkauft, sondern dass es weit mehr bedeutet. Heute geht es dem gesamten Ort, für den Kaffee die nahezu einzige Möglichkeit für ein Einkommen bedeutet, deutlich besser, die Menschen haben wieder Perspektiven.
Was hat diese Geschichte auf der Seite der Konsumenten bewegt?
Respekt. Ein gutes Beispiel ist einer unserer Baristas. Ich nehme immer einen mit auf meine Reisen. Als wir wieder zuhause waren, musste ich schmunzeln. Im Café kann es immer mal passieren, dass nicht alle Bohnen in der Mühle landen, wenn man sie hineinkippt. Nach allem, was er gesehen hatte, hatte der Barista plötzlich so viel Respekt vor dem Produkt Kaffee, dass er seither jede einzelne Bohne wieder aufsammelt.
Fotos: © Terrarosa Coffee