Die Championista
Coffee in Good Spirits-Weltmeisterin Agnieszka Rojewska verrät, wie man eigene Kaffee-Rezepte am besten erfindet
In der Barista-Szene braucht sich Agnieszka Rojewska nirgendwo mehr namentlich vorzustellen. Man weiß, wer sie ist. Die Polin sahnt einen Titel nach dem anderen ab. Dreifache Meisterin der nationalen Barista-Championship. Vierfache Meisterin der Latte Art-Championship. 2018 war sie die erste Frau, die eine Barista-Weltmeisterschaft gewonnen hat. Im Mai 2022 hat sie auch noch die Weltmeisterschaft Coffee in Good Spirits in Mailand für sich entschieden, bei dem Baristas Cocktails zubereiten, die Kaffee und Alkohol perfekt miteinander kombinieren. Mit der Barista-Koryphäe haben wir darüber gesprochen, was Genuss für sie bedeutet, wie man eigene Rezepte am besten erfindet und warum Kaffee und Whiskey zwei Paar Schuhe bleiben sollten.
Können, Charisma & Originalität – Was ist Coffee in Good Spirits?
Die Coffee in Good Spirits Championship (CIGS) stellt Kenntnisse und Fähigkeiten in der Zubereitung von Kaffee auf die Probe sowie Fähigkeiten in Sachen Mixologie, also in der Kunst, Cocktails zu mixen und Rezepte zu erfinden. Aufgabe der Teilnehmer ist es, fünf Cocktails zuzubereiten, die Kaffeeaufguss und Alkohol perfekt kombinieren. Die Cocktails werden bewertet nach Balance zwischen den einzelnen Geschmacksrichtungen, Geruch, Qualität, Innovation und technischer Perfektion. Zudem sind Professionalität in Service, Charisma und Originalität gefragt.
Agnieszka, du erfindest laufend neue Kaffee-Rezepte. Das klingt nach einer Menge Genuss. Was bedeutet Genuss für jemanden wie dich?
Hm… da sage ich klar: Eiscreme und Erdnussbutter! Und natürlich Kaffee in all seinen Facetten. Was man als Genuss empfindet, ändert sich ja immer wieder. Ich kann mich z.B. nicht daran erinnern, wann und wo ich meine erste Tasse Kaffee hatte. Das heißt wohl, dass sie nichts Besonderes gewesen sein muss. Ich bin mir sogar sicher, dass ich sie nicht aus Genuss heraus getrunken habe. Heute ist Kaffee natürlich was anderes für mich.
Du bist aktuell Weltmeisterin von „Coffee in Good Spirits“, da ist notwendigerweise einiges los mit alkoholischen Zutaten. Was muss ein guter Coffee Drink für dich haben?
Er muss ein ausgewogenes Verhältnis haben, was die Zutaten angeht und eine Balance der verschiedenen Geschmacksrichtungen, die sie mitbringen. Nichts darf das andere übertünchen, alles muss herauszuschmecken sein. Deshalb muss in einem guten Coffee Drink nicht notwendigerweise Alkohol drin sein. Die Geschmacksrichtungen müssen einfach zusammenpassen. Es mag viel zu simpel klingen, aber ein guter Coffee Drink muss im Grunde einfach so gut schmecken, dass ich ihn wieder trinken möchte.
Wenn du ein Kaffee-Rezept für einen neuen Drink entwirfst, wie z.B. für die World Championship in Mailand: wie gehst du da vor? Woher holst du dir Inspiration?
Ich beginne mit einer Idee, wie z.B. bei einem meiner Drinks für Mailand „Besuche mit meinem Drink meine Heimat Polen“. Dann überlege ich: welche Geschmacksrichtungen gibt es, die für Polen typisch sind. Sie geben dann die Grundlagen vor, um die herum ich die Rezepte denken könnte. Dann entscheide ich, welcher geschmacklichen Richtung ich folgen möchte in einem heißen oder kalten Drink. Und dann baue ich einfach einen Drink um diesen Geschmack herum auf. Einige Baristas gehen da anders heran und mit etwas mehr Plan als ich. Sie wollen z.B. einen bestimmten Likör im Drink highlighten und bilden das Rezept darum herum auf. Ich bin eher chaotischer, aber gleichzeitig auch künstlerischer.
Welcher Geschmack war das, der dir für Mailand dir Richtung vorgab?
Ich wollte u.a. typisch polnische Zutaten haben wie Holunder und Zubrówka, eine polnische Wodka-Art. Daraus wurde dann mein Zubrówka sour mit Kaffee. Dann war da noch der Kaffee Negroni und Kaffee mit Glühwein. Im Finale muss man ja standardmäßig immer einen Irish Coffee zubereiten und noch eine weitere eigene Kreation abliefern. Das war ein Coffee Champagner, ein Cocktail, der mit Trockeneis begast und mit Milch geklärt wird. Es war auch hier mehr ein laufendes Experimentieren, schauen wo mich die Zutaten hinführen, als ein organisiertes Planen – die Idee habe ich bereits, die Details kommen mit dem Prozess.
Das klingt nach schwierigen Kaffee-Rezepten. Wie lange hast du gebraucht, um deinen Gewinner-Drink in Mailand vorzubereiten?
Ich mache das immer zu einer täglichen Routine: jeden Tag üben. Je öfter du ein Getränk zubereitest, umso sicherer wirst du darin. Für die World Championship in Mailand waren es knapp drei Monate. Dazu sollte man sich mehr Zeit einplanen. Deshalb war es stressig und ich habe mich nicht wirklich vorbereitet gefühlt. Ich habe also gar nicht damit gerechnet, dass ich gewinnen würde.
Es gibt Datenbanken, die den Geschmack tausender Lebensmittel und Getränke erfassen. Sinn der Sache ist es herauszufinden, welche Zutaten auf molekularer Ebene gut miteinander harmonieren. So kommen Kombinationen heraus, auf die man sonst nicht kommt wie z.B. Garnelen und Marzipan. Flavour pairing nennt sich diese Herangehensweise. Kaffee ist auch erfasst. Wäre das für dich auch eine gute Option, um neue und originelle Kaffee-Rezepte zu erfinden?
Das kann helfen, wenn man noch gar keine Erfahrung hat, was geschmacklich gut zusammenpasst. Die Pairings aber, die ich so gesehen habe, definieren Kaffee lediglich als bittere Komponente. Das ist aber viel zu kurz gegriffen und kann Kaffee so nicht wirklich abbilden. Kaffee hat über 800 Aromen und steht für so viel mehr als nur für Bitterkeit.
Gibt es etwas, was deiner Erfahrung nach so richtig gut mit Kaffee zusammenpasst?
Das ist es ja: jeder Kaffee schmeckt anders, weil jeder Kaffee ein ganz anderes aromatisches Profil mitbringt. Es gibt deshalb nicht die Kombination, die immer funktioniert. Man muss immer von Neuem schauen, was zum jeweiligen Kaffee passt. Da musst du einfach ausprobieren. Es gibt allerdings eine Erfahrung, die ich gemacht habe: ein umwerfender Whisky und ein umwerfender Kaffee passen meistens nicht zusammen. In beiden ist geschmacklich viel zu viel los, da ist jeder zu sehr eine eigene großartige Show für sich.
Hast du einen Tipp für alle, die ihre eigenen Kaffee-Rezepte erfinden möchten?
Entscheide dich zu aller erst, welchen Geschmack du haben möchtest – sauer, süß oder doch eher bitter? Such dir dann zeitlos klassische Rezepte, wie z.B. einen Basic Negroni. Und dann tausche die bitteren Komponenten mit Kaffee aus oder spiele einfach mit den Mengenverhältnissen so lange, bis der Drink eine gute geschmackliche Balance hat. Wenn ich gute Balance sage, kann das auch bedeuten: die Mengenverhältnisse, die dir am besten schmecken.
Du hast schon mehrere Titel gewonnen. Was treibt dich an, das zu tun?
Neue Fähigkeiten zu lernen. Bei jedem Wettbewerb stelle ich fest: du kannst nie auslernen. So lerne ich jedes Mal noch etwas dazu, entwickle meine Fertigkeiten und erweitere mein Fachwissen. Ich finde, das gehört unbedingt dazu, wenn du als Barista gut sein willst.
Du hast einmal gesagt, dass Baristas eine Art Botschafter für Kaffee sein sollten. Können gute Baristas helfen, das Verständnis von Kaffee umzukrempeln und die Leute mehr zu Specialty Coffee hinführen?
Bei uns in Polen z.B. ist der Markt für Specialty Coffee klein, er wächst aber rasend schnell. Was großartig ist! Die Leute wissen immer mehr über Kaffee oder sie wollen mehr darüber erfahren. Daher schauen sie auch immer öfter auf die Qualität. Eine schöne Entwicklung, und vielleicht liegt das auch an guten Baristas.
Verrätst du uns noch, wie du deinen Kaffee am liebsten trinkst?
Das ist einfach: am liebsten, wenn er von jemand anderem zubereitet wurde…
Fotos: © Marcin Rzońca SCA Poland